Versicherungsvermittlung durch Versicherungsnehmer einer Gruppenversicherung?
Die Frage, ob die Versicherungsnehmerin einer Gruppenversicherung zugleich als Versicherungsvermittler einzuordnen sein kann, hat der BGH dem EuGH im Oktober 2020 zur Vorabentscheidung vorgelegt (BGH, Beschluss vom 15.10.2020 – I ZR 8/19, Beschluss des I. Zivilsenats vom 15.10.2020 - I ZR 8/19 - (bundesgerichtshof.de)). Die Entscheidung des EuGH könnte sich maßgeblich auf die Bewertung nach deutschem Recht auswirken. Bislang herrscht in der obergerichtlichen Rechtsprechung und der wissenschaftlichen Literatur die Ansicht vor, dass Gruppenversicherungsnehmer keine erlaubnispflichtige Versicherungsvermittlung betreiben. Diese Ansicht teilen bislang auch die BaFin und die Industrie und Handelskammern.
Im Vorlageverfahren des BGH steht die Entscheidung durch den EuGH noch aus. Zwischenzeitlich hat der EuGH aber im Rahmen eines polnischen Vorlageverfahrens Stellung bezogen und in der dort streitgegenständlichen Konstellation die Versicherungsnehmerin der Gruppenversicherung als Versicherungsvermittler eingeordnet (EuGH, Urteil vom 24.02.2022 – C-143/20 und C-213/20, CURIA - Documents (europa.eu)).
Meinungsstand in Deutschland
In Deutschland wird aktuell noch herrschend die Ansicht vertreten, dass bei einer sogenannten echten Gruppenversicherung die „Gruppenspitze“ als Versicherungsnehmerin des Versicherungsvertrages nicht zugleich Versicherungsvermittler sein kann. Bei der echten Gruppenversicherung schließt ein Versicherungsnehmer, die „Gruppenspitze“, einen einheitlichen Versicherungsvertrag zugunsten einer Mehrzahl von versicherten Personen, den Gruppenmitgliedern, ab. Es gibt also nur einen Versicherungsvertrag. Die versicherten Personen werden in den Versicherungsschutz einbezogen, schließen selbst aber keine einzelnen Versicherungsverträge mit dem Versicherungsunternehmen.
Die Definition des Versicherungsvermittlers nach § 34d Abs. 1 Satz 1 GewO zielt dagegen gerade auf die Vermittlung von Versicherungsverträgen. Versicherungsvermittler ist, wer gewerbsmäßig den Abschluss von Versicherungs- und Rückversicherungsverträgen vermitteln will. Danach kann eine Versicherungsnehmerin, die einem Dritten Versicherungsschutz über eine echte Gruppenversicherung verschafft, nicht zugleich Versicherungsvermittler sein. Etwas anderes wurde nur im Ausnahmefall angenommen, wenn die für Versicherungsvermittler geltende Erlaubnispflicht und die Beratungs- und Informationspflichten durch die Ausgestaltung als Gruppenversicherung bewusst umgangen werden sollte (LG Erfurt, Urteil vom 24. Oktober 2013 – 2 HK O 156/13).
Zum polnischen Vorlageverfahren
In dem polnischen Vorlageverfahren hat der EuGH nun zur Einordnung einer Gruppenversicherungsnehmerin als Versicherungsvermittler Stellung bezogen. In dem vom EuGH entschiedenen Fall schloss die Versicherungsnehmerin einen Vertrag über eine fondsgebundene Gruppenlebensversicherung. Gegenstand dieses Vertrags war es, Prämien von den Versicherten einzusammeln und über einen aus diesen Prämien gebildeten Investmentfonds anzulegen. Der Versicherer verpflichtete sich zur Auszahlung von Leistungen im Todesfall oder bei Erleben des Endes der Versicherungszeit.
Im Zusammenhang mit den vorvertraglichen Informationspflichten führt der EuGH dazu aus, dass in einem solchen Fall zwei getrennte Versicherungsverhältnisse zustande kommen:
- zwischen dem Versicherungsunternehmen und dem Unternehmen als Versicherungsnehmerin auf Grundlage des Vertrags über die fondsgebundene Gruppenlebensversicherung, und
- zwischen dem Versicherungsunternehmen und dem Verbraucher, der als versicherte Person dem Vertrag über die fondsgebundene Gruppenlebensversicherung beitritt.
Der Verbraucher, der sich zum Beitritt zu einem Unit-linked-Gruppenvertrag entschließt, nimmt nach der Argumentation des EuGH damit ein Versicherungsangebot des als Versicherungsnehmerin handelnden Unternehmens an. Gegenüber dem Versicherungsunternehmen ist der Verbraucher verpflichtet, die Prämie zu zahlen. Der Verbraucher übernimmt damit die vertragstypischen Rechte und Pflichten eines Versicherungsvertrags und wird somit Partei eines Versicherungsverhältnisses. Folglich sei der Verbraucher materiell auch Versicherungsnehmer.
Die Annahme, dass zwischen dem Versicherungsunternehmen und dem Verbraucher ein Versicherungsvertrag besteht, hat zudem zur Folge, dass das als Versicherungsnehmerin handelnde Unternehmen als Versicherungsvermittler anzusehen ist: „Das als Versicherungsnehmer handelnde Unternehmen übt nämlich gegen Entgelt eine Tätigkeit der Versicherungsvermittlung (…) aus, die darin besteht, Verbrauchern anzubieten, einem Unit-linked-Gruppenvertrag beizutreten und auf diese Weise (…) einen Lebensversicherungsvertrag mit dem Versicherungsunternehmen abzuschließen“.
Vorlage des BGH
Dem Vorabentscheidungsersuchen des BGH vom 15.10.2020 liegt ein anderer Sachverhalt zugrunde. In dem Fall vertreibt ein Unternehmen Mitgliedschaften an Verbraucher. Die Mitgliedschaft berechtigt die Verbraucher, Leistungen aus einer Auslandskrankenversicherung in Anspruch zu nehmen, welche das Unternehmen als Versicherungsnehmerin einer Gruppenversicherung abgeschlossen hat. Hierfür zahlen die Mitglieder eine Vergütung an das Unternehmen.
Sowohl die BaFin als auch die zuständige IHK sind der Auffassung es handele sich bei dem Geschäftsmodell nicht um erlaubnispflichtige Versicherungsvermittlung. Die Gerichte bindet die behördliche Einschätzung aber nicht. Nach Ansicht des BGH könnte vor allem der Gedanke des Verbraucherschutzes für die Einordnung der Versicherungsnehmerin einer Gruppenversicherung als Vermittler sprechen. Für den Kunden sei es wirtschaftlich im Ergebnis irrelevant, ob der ein bestimmtes Risiko wahlweise über eine Gruppenversicherung oder direkt als Versicherungsnehmer versichert. „Bei einer solchen Sachlage erscheint es nicht gerechtfertigt, an die Person, die den Kunden den Versicherungsschutz gegen Zahlung einer Vergütung verschafft, unterschiedliche Anforderungen zu stellen, je nachdem, ob der Kunde die Stellung als Versicherungsnehmer oder als Versicherter erlangt.“ Dabei stellt der BGH ganz wesentlich darauf ab, ob die Gruppenversicherungsnehmerin im eigenen wirtschaftlichen Interesse handelt.
Die Frage, ob eine Versicherungsnehmerin, die Mitgliedschaften vertreibt, die zur Inanspruchnahme von Leistungen aus einer Gruppenversicherung berechtigen, und die von den Mitgliedern eine Vergütung für den Versicherungsschutz erhält, Versicherungsvermittler im Sinne von Art. 2 Nr. 3 und 5 der Richtlinie 2002/92/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 8 der Richtlinie (EU) 2016/97 ist, hat der BGH dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Die Entscheidung des EuGH steht derzeit noch aus.
Fazit
Bei der Frage, ob Gruppenversicherungsnehmer als Versicherungsvermittler einzuordnen sind, wird es künftig wohl stärker auf eine Einzelfallbetrachtung ankommen. Das Urteil des EuGH vom 24.02.2022 zeigt, dass der EuGH in Bezug auf den Begriff der Versicherungsvermittlung ein weites Verständnis zugrunde legt. Die Entscheidung des EuGH im Vorlageverfahren des BGH steht aus. Je nachdem können sich daraus weitreichende Auswirkungen für eine Vielzahl von Gruppenversicherungslösungen ergeben.