Regressfähigkeit von Kartellbußen – Frischer Wind vom Landgericht Dortmund
Das Landgericht Dortmund (Az.: 8 O 5/22 (Kart)) hat jüngst einen bemerkenswerten Hinweisbeschluss im Rahmen eines noch laufenden Organhaftungsprozesses veröffentlicht. In der Sache geht es um die mögliche Haftung des ehemaligen Komplementär-Geschäftsführers einer GmbH & Co. KG u.a. für eine der Gesellschaft behördlich auferlegte Kartellbuße.
I. Inhalt der Entscheidung
Nach der vorläufigen Rechtsauffassung der Kammer soll ein Regressanspruch der Gesellschaft gegenüber ihrem Geschäftsführer auf Ersatz von Schadenspositionen, die ihr dadurch entstanden sind, dass der Geschäftsführer an einem der Gesellschaft zurechenbaren Kartellrechtsverstoß mitgewirkt hat und die Gesellschaft daraufhin mit Bußgeldern belegt und mit Schadenersatzforderungen konfrontiert wurde, dem Grunde nach anzuerkennen sein. Die Kammer begründet ihre Rechtsauffassung dabei im Kern wie folgt:
1. Die Präventionswirkung der ordnungsrechtlichen Sanktionen stehen einer Anerkennung der Regressfähigkeit von Bußgeldern nicht entgegen
Nach Auffassung der Kammer unterlaufe die Regressfähigkeit von Bußgeldern ordnungsrechtliche Sanktionen nicht. Das Zivil- und Ordnungswidrigkeitenrecht stünden eigenständig nebeneinander, ohne dass letzteres das erstere beschränken könnte. Die primäre Zahlungspflicht des bebußten Unternehmens werde durch einen Regress gegenüber dem Geschäftsführer nicht in Frage gestellt. Vielmehr müsse das Unternehmen zunächst gleichsam in Vorleistung gehen. Zu einer vollständigen Entlastung des Unternehmens, so das Landgericht weiter, komme es durch den Regress regelmäßig ohnehin nicht. Aufgrund ihrer Höhe könnten Bußgelder oftmals nicht vollumfänglich vom Geschäftsführer zurückerlangt werden. Sollten D&O-Versicherungen in solchen Fällen überhaupt zum Tragen kommen, sei die Deckungssumme regelmäßig überschritten. Deshalb sei das Unternehmen dem Insolvenzrisikos seines Organs ausgesetzt, sodass die Abschreckungs- und Präventionsfunktion des Bußgeldes gewahrt sei und die Anerkennung eines Regresses auch nicht die Effektivität (effet utile) der unionsrechtlichen Vorschriften der Art. 101, 105 AEUV in Frage stelle. Zudem verbleibe für das Unternehmen ein rechtlich nicht regressierbarer Reputationsverlust.
2. Die Anerkennung des Bußgeldregresses vermeidet das Setzen von Fehlanreizen
Nach Auffassung des Landgerichts schaffe ein Verzicht auf den Regress überdies Fehlanreize, da er einer gewissen Risikobereitschaft auf Seiten der Geschäftsleitung Vorschub leisten würde, durch Kartellrechtsverletzungen Vorteile unmittelbar für das Unternehmen, aber mittelbar auch für sich selber zu generieren.
3. Bußgelddifferenzierung bleibt von dem Regress unberührt
Schließlich drohe aus Sicht der Kammer auch kein Unterlaufen der Bußgelddifferenzierung aus § 81 Abs. 4 GWB. Diese Differenzierung betreffe erkennbar nur ordnungswidrigkeitsrechtliche Erwägungen, nicht aber die Pflicht zum zivilrechtlichen Ausgleich verursachter Schäden.
4. Mögliche Begrenzung des Bußgeldregresses?
Mit einer höhenmäßigen Begrenzung des Bußgeldrahmens musste sich die Kammer offenbar aufgrund des „vergleichsweise geringen Bußgeldes“ im konkreten Fall nicht weiter beschäftigen. Für eine Begrenzung der Haftung komme nach Auffassung der Kammer vor allem der Aspekt der Vorteilsausgleichung in Betracht.
II. Folgen der Entscheidung
Der Hinweisbeschluss des Landgerichts Dortmund bringt frischen Wind in die vor allem unter dem Stichwort „Schienenkartell“ bekannt gewordene Diskussion um die Regressfähigkeit von Unternehmensbußgeldern. Die bisher veröffentlichte Rechtsprechung hat diesen Regress v.a. unter Hinweis auf den Sanktionscharakter der Geldbuße bisher einhellig abgelehnt. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum ist die Rechtsfrage seit jeher umstritten. Und auch in anderen Rechtsbereichen, etwa auf dem Gebiet der Cybersicherheit, zeichnen sich Tendenzen ab, solche Vermögensnachteile in die Organhaftung einzubeziehen. So enthält etwa die Begründung des jüngst veröffentlichten Entwurfs des Umsetzungsgesetzes zur NIS-2-Richtlinie den expliziten Hinweis darauf, dass die dort geregelte spezialgesetzliche Haftung für Geschäftsleiter auch Regressforderungen und Bußgelder einschließen soll [Entwurf des Umsetzungsgesetzes zur NIS2-Richtlinie (noerr.com)]. Damit weisen die vom Landgericht Dortmund zu entscheidenden Rechtsfragen schon heute weit über das Kartellrecht hinaus.
Bei dem Hinweisbeschluss handelt es sich – wie üblich – nur um die die vorläufige Rechtsauffassung der Kammer. Insofern bleibt mit Spannung abzuwarten, ob das Landgericht Dortmund an dieser vorläufigen Rechtsauffassung festhält. Ein Termin zur Entscheidung ist öffentlichen Informationen zufolge für den 30.08.2023 bestimmt.