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Leiharbeit: EuGH lässt öffentliche Arbeitgeber aufatmen

03.07.2023

Der EuGH hat am 22.06.2023 ein Urteil zum Anwendungsbereich der europäischen Leiharbeitsrichtlinie gefällt. Dem Fall lag ein Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts zugrunde. Arbeitgeber und zugleich Beklagter war ein Krankenhaus, dessen Trägerin und einzige Gesellschafterin eine Körperschaft öffentlichen Rechts war.

Der EuGH urteilte, dass eine Personalgestellung im öffentlichen Dienst, bei der das bisherige Arbeitsverhältnis fortbesteht, während der Arbeitnehmer dauerhaft bei einer neugegründeten Service-GmbH arbeitet, nicht in den Anwendungsbereich der europäischen Leiharbeitsrichtlinie (RL 2008/104/EG) fällt.

Grund hierfür ist, dass der Arbeitgeber für eine Anwendbarkeit der Richtlinie sowohl bei Abschluss des Arbeitsvertrags als auch bei jeder tatsächlich vorgenommen Überlassung die Absicht haben muss, den Arbeitnehmer dem entleihenden Unternehmen (nur) vorübergehend zur Verfügung zu stellen. Da eine Absicht vorübergehender Überlassung aber weder bei Vertragsschluss noch bei Überlassung gegeben war, verneinte der EuGH die Anwendbarkeit.

Das Urteil des EuGH dürfte vor allem öffentliche Arbeitgeber aufatmen lassen. Denn wie in dem Sachverhalt, über den der EuGH zu befinden hatte, sehen sich immer mehr öffentliche Arbeitgeber aufgrund des Kostendrucks und zum Zwecke der Haftungsbegrenzung und Flexibilisierung zu Umstrukturierungsmaßnahmen gezwungen, die zur Umwandlung und organisatorischen sowie rechtlichen Verselbständigung öffentlicher Tätigkeit in privatrechtliche Organisationsformen führen.   

Eine solche Umwandlung hat jedoch oftmals gravierende arbeitsrechtliche Konsequenzen. Denn in vielen Fällen ist es Bestandteil der arbeitsvertraglichen Pflichten des öffentlichen Arbeitgebers, eine monatliche Zahlung an die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) zu leisten und dadurch für eine zusätzliche Altersversorgung der Arbeitnehmer zu sorgen. Sichergestellt wird diese Zusatzversorgung – wie auch im vom EuGH entschiedenen Fall – durch tarifvertragliche Vereinbarungen (TVöD) oder arbeitsvertragliche Bezugnahmen darauf. Endet die Bindung an die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes, löst sich der Arbeitgeber hierdurch ggf. aus dem VBL-System und muss in der Folge teilweise horrende Ausgleichsentgelte zahlen, die eine hohe wirtschaftliche Belastung darstellen.

Vor diesem Hintergrund griffen in der Vergangenheit immer mehr öffentliche Arbeitgeber zum Mittel der Personalgestellung. Bei diesem Modell besteht der Vertrag der Arbeitnehmer mit dem öffentlichen Arbeitgeber fort, der Arbeitnehmer wird nunmehr jedoch dauerhaft bei dem neu gegründeten privatrechtlichen Unternehmen eingesetzt.

Der EuGH hatte sich in dem ihm vorgelegten Fall nun mit der Frage auseinanderzusetzen, ob ein solches Modell unter die Leiharbeitsrichtlinie der EU fällt. Konkret betraf das Urteil die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und 2 der RL 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit. Wäre der EuGH dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Richtlinie auf den konkreten Fall anwendbar ist, hätte sich die Folgefrage gestellt, ob die Bereichsausnahme des § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG, die speziell Tarifverträge des öffentlichen Dienstes betrifft, überhaupt mit Unionsrecht vereinbar wäre. Eine solche Unvereinbarkeit hätte dazu geführt, dass dieses Arbeitsmodell nunmehr dem AÜG und dessen strengem Reglement unterfiele. Unter anderem wären öffentliche Arbeitgeber dadurch der Erlaubnispflicht des § 1 Abs. 1 S. 1 AÜG unterfallen und hätten sämtliche der daraus folgenden Konsequenzen tragen müssen – auch die Unwirksamkeit des Überlassungsvertrags nach § 9 Abs.1 Nr. 1 AÜG und die Sanktion des § 16 AÜG.

Mit seinem Urteil hat der EuGH jedoch klargestellt, dass der Anwendungsbereich der Richtlinie voraussetzt, dass der Arbeitgeber sowohl bei Abschluss des betreffenden Arbeitsvertrags als auch bei jeder der tatsächlich vorgenommenen Überlassungen die Absicht haben muss, den betreffenden Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen nur vorübergehend zur Verfügung zu stellen. Eine Gefahr für öffentliche Arbeitgeber besteht hierdurch in den meisten Fällen nicht mehr. Denn nicht nur wird es bei den meisten Arbeitgebern daran fehlen, die Arbeitnehmer nur vorübergehend in einem anderen Betrieb einsetzen zu wollen, da das beschriebene Modell gerade auf die dauerhafte Überlassung ausgerichtet ist. Darüber hinaus werden die meisten öffentlichen Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer auch erst nachträglich ausgliedern und somit bei Vertragsschluss noch nicht die Absicht gehabt haben, den Arbeitnehmer überhaupt einem Dritten zu überlassen. Es heißt also Aufatmen. Die Gefahr einer illegalen Arbeitnehmerüberlassung besteht in diesen Fällen nicht mehr.

Über die weiteren Entwicklungen dieser Rechtsprechung werden wir Sie selbstverständlich informieren. Falls in der Zwischenzeit Fragen rund um das Thema Arbeitnehmerüberlassung – auch im öffentlichen Dienst - bestehen, sprechen Sie uns gerne an!

Weiterführende Informationen zum Thema erläutern wir im kommenden „Quartalsupdate Fremdpersonaleinsatz“ am 18.07.2023 ab 14:00 Uhr. Gerne können Sie sich hierzu kostenfrei unter folgendem Link anmelden: Anmeldung zum Live-Webinar: Back to the Future – Heimarbeit als unterschätztes Compliancerisiko bei IT-Freelancern.

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