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Entscheidung des US-Supreme Court: Wirtschafts­strafrecht trifft auf ausländisches Schieds­verfahrens­recht

03.08.2023

Das oberste Bundesgericht der USA, der Supreme Court, hat jüngst eine Reihe von Fällen aus seiner im Oktober 2022 begonnenen Sitzungsperiode entschieden. In einem dieser Fälle, der sowohl Wirtschaftskriminalität in den USA als auch ein ausländisches Schiedsverfahren zum Gegenstand hatte, führte das Gericht mit seiner Entscheidung vom 22. Juni 2023 zwei juristische Welten zusammen. In dem Verfahren Yegiazaryan, aka Egiazaryan v. Smagin et al. entschied das Gericht, dass ein ausländischer Schiedsspruch über den US-amerikanischen Racketeer Influenced and Corrupt Organizations Act („RICO“) (Title 18, §§ 1961-1968 United States Code) vollstreckt werden könne, soweit der dem Kläger entstandene Schaden seinen Umständen nach in den USA entstanden sei. Erst im vergangenen Jahr hatte das Gericht mit ZF Automotive US, Inc. v. Luxshare, Ltd. and AlixPartners, LLP v. Fund for Protection of Investors’ Rights in Foreign States einen anderen Fall entschieden, der ein Schiedsverfahren betraf, damals jedoch mit weitaus weniger Erfolg für die ausländische Schiedsverfahrenswelt (das Gericht vertrat dabei die Auffassung, dass in privaten Schiedsverfahren Anträge auf ein Discovery-Verfahren in Bezug auf natürliche oder juristische Personen innerhalb der USA nicht mehr auf Section 1782 gestützt werden können). Für Schiedsverfahren, die außerhalb der USA geführt werden, ist die jetzige Entscheidung im Fall Yegiazaryan wesentlich günstiger, doch wer einen Schiedsspruch in den USA vollstrecken lassen möchte, sollte sich nicht zu früh freuen.

Hintergrund

Ashot Yegiazaryan, russischer Staatsbürger, hatte in Russland Betrug zum Nachteil von Vitaly Smagin, ebenfalls russischer Staatsbürger, begangen. Um der Strafverfolgung in Russland zu entgehen, flüchtete Yegiazaryan nach Kalifornien, wo er seit 2010 wohnte. Im Jahr 2014 wurden Smagin mittels Schiedsspruch in einem in London gegen Yegiazaryan geführten Schiedsverfahren mehrere Millionen US-Dollar wegen des Betrugs zugesprochen. Smagin reichte daraufhin im Central District of California erfolgreich Klage gemäß dem Übereinkommen über Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche („New Yorker Konvention“) ein, um Yegiazaryans Vermögenswerte einfrieren zu lassen und den ihm mit dem Schiedsspruch zuerkannten Betrag einzuziehen. Zwischenzeitlich hatte Yegiazaryan selbst in einer anderen Sache zu seinen Gunsten einen Schiedsspruch über mehrere Millionen US-Dollar erwirkt. Dieses Geld versteckte er, um dessen Einziehung durch Smagin zu verhindern. Smagin erhob daraufhin im Jahr 2020 gemäß dem RICO eine Zivilklage in Kalifornien mit der Begründung, Yegiazaryan arbeite mittels „wire fraud“ (Betrug über Telekommunikationsmittel) und über andere kriminelle Handlungen mit Dritten zusammen, mit dem Ziel, die Möglichkeiten Smagins zur Einziehung des ihm zugesprochenen Betrages zunichtezumachen.

Der District Court wies die Klage mit der Begründung ab, Smagin habe keinen Schaden im Inland (domestic injury) vorgetragen, denn die Verfahrensbeteiligten seien Russen und dem Schiedsspruch lägen Handlungen zugrunde, die in Russland stattgefunden haben. Der United States Court of Appeals for the Ninth Circuit, das Bundesberufungsgericht für den neunten Bezirk, sah dies anders und lehnte den vom United States Court of Appeals for the Seventh Circuit (US-Bundesberufungsgericht für den siebten Bezirk) angelegten Wohnsitz-basierten Prüfungsmaßstab für immaterielle Vermögenswerte ab. Der Court of Appeals for the Ninth Circuit wählte stattdessen einen kontextbezogenen Ansatz, der nach seiner Auffassung mit dem Ansatz des United States Court of Appeals for the Second Circuit und dem Ansatz des United States Court of Appeals for the Third Circuit im Einklang steht, und kam zu dem Schluss, dass Smagin sehr wohl einen Schaden im Inland vorgetragen habe, denn er habe versucht, ein kalifornisches Urteil gegen eine in Kalifornien ansässige Person zu vollstrecken und die kriminelle Handlung habe größtenteils in Kalifornien stattgefunden.

Kontextbasierter Ansatz

Der Supreme Court ließ das Rechtsmittel vor dem Hintergrund der uneinheitlichen Auffassungen der Bundesberufungsgericht davon, was in Fällen mit ausländischen Verfahrensbeteiligten ein Schaden im Inland (domestic injury) im Sinne des RICO sei, zu. Der Supreme Court hatte sich bereits im Fall RJR Nabisco, Inc. v. European Community, 579 U.S. 325 (2016), mit dem RICO und seiner extraterritorialen Reichweite befasst und festgestellt, dass, soweit der Kongress nicht eindeutig einen abweichenden Willen zum Ausdruck gebracht hat, Bundesgesetze so auszulegen seien, dass sie nur auf inländische Sachverhalte Anwendung finden. Im Fall RJR Nabisco hatte der Supreme Court eine zweistufige Prüfung angewendet und dabei zunächst betrachtet, ob das Gesetz einen eindeutigen Hinweis darauf enthält, dass es extraterritorial anwendbar ist, und sodann, jedoch nur bei Verneinung, ob der Fall bei Berücksichtigung des Fokus des jeweiligen Gesetzes zu dessen inländischer Anwendung führe. In Hinblick auf das private Klagerecht aus dem RICO (§1964 (c)) war der Supreme Court im Fall RJR Nabisco der Auffassung, dass es keinen eindeutigen Hinweis darauf gebe, dass der Kongress ein Klagerecht in Bezug auf außerhalb der USA entstandene Schäden begründen wollte; ein privater RICO-Kläger muss daher in Stufe zwei einen inländischen Schaden nachweisen. Was genau ein „inländischer Schaden“ (domestic injury) ist, hat der Supreme Court jedoch nicht definiert, sodass es den Berufungsgerichten der verschiedenen Bezirke überlassen blieb, sich über die Definition zu streiten.

In seiner Entscheidung im Fall Yegiazaryan v. Smagin löste der Supreme Court die Spaltung zwischen den Berufungsgerichten der Bezirke nun auf, indem er letztlich der Auffassung des Court of Appeals for the Ninth Circuit folgte. Der Supreme Court befand, dass Gerichte die Umstände des Schadens betrachten und anhand dieser bewerten sollten, ob eine hinreichende Verbindung zwischen dem Schaden und den USA hergestellt werden kann. Anhand dieses Grundsatzes stellte der Supreme Court fest, dass aus den Umständen des Schadens im Fall von Smagin klar hervorginge, dass der Schaden in den USA entstanden sei, da der Plan Yegiazaryans, die Einziehung zu verhindern, in den USA durchgeführt worden und darauf ausgerichtet gewesen sei, die Vollstreckung des kalifornischen Urteils zu vereiteln.

Zukunft ausländischer Schiedssprüche in den USA unter dem RICO

Auf den ersten Blick ist es sehr erfreulich, dass es bei der Vollstreckung von ausländischen Schiedssprüchen möglich ist, von RICO-Bestimmungen zu profitieren. Gleichwohl ist zu beachten, dass dieser konkrete Fall zahlreiche Bezüge zu den USA aufwies.

Yegiazaryan lebte in Kalifornien und das Urteil war von einem kalifornischen District Court erlassen worden. Auch die zugrundeliegenden, für den RICO relevanten Handlungen, nämlich die Gründung von US-Strohfirmen zur Verdunkelung des US-Vermögens, die Vorlage einer gefälschten ärztlichen Bescheinigung bei einem US-District Court und die Einschüchterung eines in den USA ansässigen Zeugen, hatten in den USA stattgefunden. Darüber hinaus bestehen die mit dem kalifornischen Urteil gemäß der New Yorker Konvention verbundenen Rechte (einschließlich des Rechts, ein Discovery-Verfahren auch nach dem Urteilsspruch zu erwirken, Vermögenswerte in Kalifornien beschlagnahmen zu lassen und weitere angemessene Abhilfen bei dem kalifornischen District Court zu beantragen) nur in Kalifornien. All diese Bezüge zu den USA spielten bei der Entscheidung des Supreme Court eine erhebliche Rolle. Vor diesem Hintergrund ist unklar, wie ein US-District Court entscheiden würde, wenn weniger Bezüge zu den USA bestehen.

Die nun festgestellte Erweiterung der Vollstreckungsmöglichkeiten für Schiedssprüche beschränkt sich auf den RICO. Wenngleich damit die Tür für RICO-Klagen durch Gläubiger ausländischer Schiedssprüche geöffnet wurde, müssen Kläger nach wie vor vorbringen, dass ein hinreichendes Muster krimineller Aktivitäten vorliegt, um den RICO heranziehen zu können. Der Supreme Court hat zudem offen gelassen, welche Faktoren für den Nachweis eines inländischen Schadens im Sinne des RICO relevant sein können und wie diese untereinander zu gewichten sind. Diese Fragen sind in künftigen Fällen noch zu klären.

Es könnte sich somit in den meisten Fällen als recht schwierig erweisen, eine RICO-Klage gegen jemanden zu erheben, der einen Schiedsspruch zu umgehen versucht. Ferner führt Richter Alito in seiner abweichenden Meinung im Fall Yegiazaryan v. Smagin aus, dass der ausländische Schiedsspruch an sich in keiner Weise inländisch sei und der Supreme Court es versäumt habe, sich mit diesem Punkt zu befassen. Wenngleich es sich um eine abweichende Meinung handelt, könnte dieses Argument von Gegnern der Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche über den RICO aufgegriffen werden.

Fazit

Ausländische Kläger können zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche in den USA nun grundsätzlich den RICO heranziehen und von seinen Bestimmungen zum dreifachen Schadenersatz und der Erstattung von Anwaltskosten profitieren. Die Hürden für die Geltendmachung eines RICO-Anspruchs bleiben jedoch hoch, insbesondere weil die Entscheidung des Supreme Court klar gemacht hat, dass es sich hierbei um eine kontextbezogene und faktenintensive Untersuchung handelt. Vor allem muss der Schaden des Klägers noch einen hinreichenden Bezug zu den USA aufweisen, um als dort entstanden zu gelten. Die Gerichte der unteren Instanzen werden nun mit der Klärung beginnen, wann ein hinreichender Bezug gegeben ist.