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Automated Vehicles Act: ­Ein Überblick über den regulatorischen Rahmen für den Einsatz von auto­matisierten und autonomen Fahrzeugen in Großbritannien

11.06.2024

Der zeitnahe und sichere Einsatz von hochentwickelten automatisierten Fahrfunktionen im Straßenverkehr ist ein erklärtes Ziel der Europäischen Union. Auch Großbritannien sieht in der Fahrzeugautomatisierung große Potentiale für die Steigerung der Verkehrssicherheit sowie wirtschaftliche Chancen.

Vor diesem Hintergrund wurde unter Einbindung des dem Department for Transport unterstellten Centre for Connected and Autonomous Vehicles („CCAV“) in Großbritannien ein Gesetzesentwurf erarbeitet, der am 20. Mai 2024 Gesetzesstatus erlangte. Mit dem Automated Vehicles Act (im Folgenden „AV Act“) wird der nationale Rechtsrahmen für den Einsatz von automatisierten Fahrzeugen in Großbritannien geschaffen. Aus regulatorischer Sicht lassen sich die umfassenden Regelungen wie folgt zusammenfassen:

  • Im Zentrum des AV Act stehen die regulatorischen Rahmenbedingungen für den Einsatz – mithin nicht das bloße Erproben – von automatisierten Fahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr Großbritanniens. Es werden Kraftfahrzeuge mit Level-3 und Level-4-Automatisierung (im Sinne des Standard SAE J3016) gleichermaßen erfasst. Autonome Fahrzeuge nach Level-5 lassen sich dagegen nicht unter die Bestimmungen des AV Act fassen.
  • Im Rahmen des AV Act wird bei Verwendung einer automatisierten Fahrfunktion zwischen zwei Betriebsmodi („mode of operation“) differenziert. Durch den Modus „user-in-charge“ werden ausschließlich Level-3-Anwendungen adressiert. Der Betriebsmodus „no-user-in-charge“ deckt sodann eine Level-4-Automatisierung ab.
  • Grundvoraussetzung für den zulässigen Einsatz als automatisiertes Fahrzeug ist, dass das Fahrzeug einen – noch nicht näher ausgestalteten – Test („self-driving test“) besteht. Durch das entsprechende Testverfahren soll sichergestellt werden, dass sich das Fahrzeug während einer automatisierten Fahrt vor allem sicher („safely“) sowie unter Beachtung der Verkehrsvorschriften („legally“) im Straßenverkehr selbstständig bewegt.
  • Dass der Einsatz eines automatisierten Fahrzeuges sicher ist, soll durch den Erlass von flankierenden Sicherheitsgrundsätzen („safety principles“) sichergestellt werden. Automatisierte Fahrzeuge sollen demnach ein vertretbares Sicherheitslevel erreichen, das mindestens so hoch ist, wie das eines umsichtigen und kompetenten menschlichen Fahrers. Insgesamt muss durch den Einsatz automatisierter Fahrzeuge eine Verbesserung der Verkehrssicherheit einhergehen.
  • Im Ergebnis steckt der AV Act zunächst einen regulatorischen Rahmen für den Einsatz von automatisierten Fahrzeugen ab. Die konkrete Ausgestaltung von Anforderungen und weiteren Bestimmungen ist allerdings noch offen. Neben der Formulierung von Sicherheitsgrundsätzen sind etwa auch Anforderungen in Testverfahren zu implementieren. Erst wenn die entsprechenden – mitunter im AV Act ausdrücklich adressierten – Regelungslücken durch ergänzende Rechtsakte geschlossen sind, ist ein Serieneinsatz von entsprechend automatisierten Fahrzeugen unter dem AV Act in Großbritannien möglich.

In Deutschland wurden entsprechende regulatorische Rahmenbedingungen bereits mit der StVG-Novelle 2017 (hoch- oder vollautomatisierte Fahrfunktionen im Sinne von Level-3-Automatisierung) sowie mit der StVG-Novelle 2021 (autonome Fahrfunktionen im Sinne einer Level-4-Automatisierung) geschaffen. Vor diesem Hintergrund lassen sich in Bezug auf den regulatorischen Ansatz in Großbritannien sowohl Parallelen als auch Unterschiede ausmachen. Aus dieser Warte sollen im Folgenden die wichtigsten regulatorischen Aspekte des AV Act vorgestellt werden. Im Einzelnen: 

Anwendungsbereich

Geht es um die Automatisierung von Kraftfahrzeugen wird regelmäßig auf die Einteilung der Automatisierungsgrade nach dem SAE J3016 Standard abgestellt (siehe etwa im US-Bundesstaat Kalifornien den Verweis auf den SAE Standard J3016 in Section 228.02 unter Title 13, Division 1, Chapter 1 Article 3.8 California Code of Regulations).

Der AV Act enthält indes keine Bezugnahmen auf eine solche Klassifizierung, mithin keinen Verweis auf Stufen bzw. Level der Automatisierung. Hierin besteht eine Parallele zu den §§ 1a ff. StVG, die ebenfalls nicht auf eine technische Klassifizierung referenzieren, sondern stattdessen die Automatisierung für den nationalen Anwendungsbereich rechtsverbindlich beschreiben (vgl. § 1a Abs. 2 StVG; § 1d Abs. 1 i.V.m. § 1e Abs. 2 StVG). In Section 1 Subsection 5 wird näher beschrieben, was unter einer autonomen Fahrt zu verstehen ist. Demnach bewegt sich ein Fahrzeug „autonom“ fort, wenn 

  • das Fahrzeug ausschließlich von der technischen Ausrüstung gesteuert wird und
  • weder das Fahrzeug selbst noch die Fahrzeugumgebung von einer Person überwacht wird, um etwa unmittelbar in die Fahrzeugführung einzugreifen.

Im Ergebnis wird hier gleichermaßen eine Level-3 und Level-4-Automatisierung beschrieben, bei der gerade keine ständige Überwachung durch den Fahrzeugnutzer notwendig ist.

Differenzierung zwischen zwei Betriebsmodi

Eine aktivierte automatisierte Fahrfunktion muss nach den Bestimmungen des AV Act durch den Fahrzeugnutzer nicht überwacht werden. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass bei den automatisierten Fahrfunktionen zwischen zwei Betriebsmodi („mode of operation“) differenziert wird:

  • ein zur Fahrzeugsteuerung übernahmebereiter Fahrzeugnutzer ist vorhanden („user-in-charge“) oder
  • es steht kein übernahmebereiter Fahrzeugnutzer zur Verfügung („no-user-in-charge“).

An die jeweiligen Modi knüpfen sich weitere Bestimmungen, deren Regelungsgehalt unter anderem auch aus den beiden StVG-Novellen bekannt ist:

Übergabesituation im Modus „user-in-charge“ (Level 3)

Der Modususer-in-charge“ bedeutet, dass sich ein Fahrzeugnutzer innerhalb des Fahrzeuges befindet und grundsätzlich in der Lage ist, die Fahrzeugsteuerung auszuführen (siehe Section 46 des AV Act). Im Rahmen einer user-in-charge-Funktion ist gemäß Section 7 des AV Act vorgesehen, dass der Fahrzeugnutzer die Fahrzeugsteuerung übernimmt, wenn er dazu vom Fahrzeug aufgefordert wird („transition demand“).

Eine entsprechende Übergabesituation ist auch der deutschen Konzeption nicht fremd, wie ein Blick auf den im Jahr 2017 eingeführten § 1b Abs. 2 Nr. 1 StVG zeigt. Nach den Bestimmungen des AV Act wird (wie vom deutschen Pendant im StVG) keine konkrete Dauer („transition period“) vorgegeben, in der der Fahrzeugnutzer die Fahrzeugsteuerung übernehmen muss. Nach Section 7 Subsection 3 AV Act sind noch konkrete Regelungen zu erlassen, um die Übergabesituation näher zu beschreiben und deren sicheres Funktionieren zu gewährleisten. Die unter Section 7 Subsection 3 adressierten Punkte scheinen an Ziffer 5.4 der UN-Regelung Nr. 157 angelehnt zu sein.

Externe Instanz im Modus „no-user-in-charge“ (Level 4)

Für Fahrfunktionen, bei denen ein übernahmebereiter Fahrzeugnutzer nicht vorgesehen ist („no-user-in-charge“), ist eine Übergabesituation ausgeschlossen. Section 12 Subsection 3 AV Act sieht für diesen Betriebsmodus allerdings die Überwachung der automatisierten Fahrt durch einen speziellen „Operator“ vor.

Aus dem Wortlaut der Norm geht nicht eindeutig hervor, ob sich der Operator im oder außerhalb des Fahrzeuges befinden kann. Mit Blick auf die Differenzierung zwischen „user-in-charge“ (bei dem eine zur Fahrzeugführung bereite Person im Fahrzeug anwesend sein muss) und „no-user-in-charge“, spricht vieles dafür, dass sich der Operator außerhalb des Fahrzeuges befindet. Ebenfalls nicht eindeutig ist der Umfang der nach dem Gesetzestext grundsätzlich vorgesehenen Überwachung („oversee“ bzw. „oversight“) durch den Operator. Die Aufgaben des Operators gemäß Section 12 Subsection 5 AV Act, mithin das Erkennen und die Reaktion auf während der automatisierten Fahrt auftretender Probleme, deuten darauf hin, dass der Operator nicht den gesamten Fahrtverlauf überwachen und nicht sofort reagieren können muss. Eine gewisse Aufmerksamkeit ist dennoch gefordert, so dass er mögliche Störungen im Fahrtverlauf erkennen kann.

Das Prinzip einer externen Instanz beim Einsatz von Level-4-Fahrzeugen ist auch im Jahr 2021 im StVG für Kraftfahrzeuge mit autonomer Fahrfunktion in festgelegten Betriebsbereichen verankert worden. Insoweit lassen sich Parallelen zu der Technischen Aufsicht im Sinne von § 1d Abs. 3 StVG erkennen. Allerdings ist eine ständige Überwachung der Fahrt durch die Technische Aufsicht gesetzlich gerade nicht vorgesehen. Sie schaltet sich vielmehr „auf Zuruf“ des automatisierten Fahrzeuges in das Verkehrsgeschehen ein und gibt etwa vorgeschlagene Fahrmanöver frei (siehe § 1e Abs. 2 Nr. 9 StVG) oder wird vom Fahrzeug selbstständig über technische Beeinträchtigungen informiert (siehe § 1e Abs. 2 Nr. 6 StVG). Die Einbindung in das Fahrgeschehen scheint damit im Ergebnis beim Operator des AV Act umfassender auszufallen als bei der Technischen Aufsicht.

Fazit und Ausblick

Mit dem AV Act wurde ein wichtiger Schritt für den serienmäßigen Einsatz von automatisierten Fahrzeugen in Großbritannien gemacht. Mit Blick auf die regulatorischen Bestimmungen zeigt sich allerdings, dass zunächst nur ein Rahmen vorgegeben wird, wobei konkrete Bestimmungen und Anforderungen noch zu erarbeiten sind. Dieser Ansatz wurde etwa auch in Deutschland im Rahmen der StVG-Novelle 2021 verfolgt, indem detaillierte Vorgaben in einer der StVG-Novelle zeitlich nachgelagerten Verordnung, der AFGBV und deren Anlagen, vorbehalten blieben (siehe hierzu vertiefend hier).

Mit Spannung dürfte vor allem die konkrete Ausgestaltung des sogenannten „self-driving test“ zu erwarten sein, denn gerade die technischen Vorgaben und die Validierung des sicheren Einsatzes von automatisierten Fahrfunktionen auf Level 3 und Level 4 stellt sowohl für den Normgeber als auch den Hersteller eine große regulatorische Herausforderung dar. Abzuwarten bleibt auch, ob die Anforderungen an den Operator im Sinne des AV Act so hoch ausfallen werden, wie diejenigen die an eine Technische Aufsicht nach § 14 Satz 2 AFGBV gestellt werden.

Insgesamt ist absehbar, dass noch einiger Regulierungsaufwand notwendig ist, bevor die ersten automatisierten Fahrzeuge in Großbritannien am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen können.