Zur Auslegung der Betriebsschließungsversicherung durch deutsche Gerichte
Die Versicherung von COVID-19-bezogenen Schäden unter der Betriebsschließungsversicherung gehört zu den wesentlichen versicherungsrechtlichen Streitfragen im Zusammenhang mit SARS-CoV-2/Covid-19. Das Thema betrifft vorrangig Unternehmen in der Gesundheits- und Lebensmittelindustrie, das Hotel- und Gaststättengewerbe sowie deren Versicherer. Rahmenvergleichskonzepte der betroffenen Interessenverbände haben nur eingeschränkt tragfähige Lösungen hervorgebracht. In Konsequenz zeichnen sich heute erste Tendenzen in der Rechtsprechung der Instanzgerichte ab.
Am 20.04.2020 hat das bayrische Wirtschafts- und Finanzministerium in Zusammenarbeit mit Vertretern verschiedener Versicherungen die DEHOGA-Bayern-Rahmenlösung vorgestellt (Bayrische Lösung). Kern dieses Vergleichskonzepts sind Leistungen der betroffenen Betriebsschließungsversicherer in Höhe von 15% der bedingungsgemäß geschuldeten Versicherungsleistung. Die Vergleichskonditionen legen folgende Rechtsauffassung der Versichererseite zugrunde:
- Allgemeinverfügungen und Rechtsverordnungen können bedingungsgemäß – so die Arbeitshypothese – den Versicherungsfall nicht auslösen.
- Es bestehe kein Versicherungsschutz für Behördenhandeln im Zusammenhang mit SARS-CoV-2/COVID-19, da der Erreger SARS-CoV-2 nicht in dem Infektionskatalog der betroffenen Versicherungsbedingungen namentlich genannt werde.
- 70% der Betriebsausfälle des Versicherungsnehmers würden – unabhängig vom Versicherungsschutz – durch staatliche Leistungen und/oder eigenes nicht untersagtes Geschäft kompensiert.
Auf Grundlage dieser Vergleichskonditionen haben Versicherer bundesweit mit der Versicherungsnehmerseite Einigungen erzielt. Versicherer und Versicherungsnehmer sollten indes bei künftigen Verhandlungen im Zusammenhang mit Betriebsschließungspolicen kritisch prüfen, ob die Konditionen der „Bayrischen Lösung“ die Sach- und Rechtslage des konkreten Versicherungsverhältnisses wirklichkeitsgetreu abbilden.
Der Versicherungsfall der Betriebsschließungsversicherung wird in den Bedingungswerken der verschiedenen Versicherer nicht einheitlich definiert. Entsprechend haben die oben genannten Einwände gegen die Deckung von COVID-19-bezogenen Betriebsschließungen von Fall zu Fall unterschiedliches Gewicht. Dem wird die Rahmenlösung – auch vor dem Hintergrund aktueller Tendenzen in der Rechtsprechung – nur bedingt gerecht.
Erste Entscheidungen der Instanzgerichte betreffen das Argument, Versicherungsschutz bestehe einzig im Fall einer behördlichen Individualverfügung gegen den Versicherten.
Das Landgericht Mannheim und das Landgericht München I haben in diesem Zusammenhang zu Bedingungswerken entschieden, deren Versicherungsfalldefinition die Schließung des Betriebs durch die zuständige Behörde „aufgrund des“ Infektionsschutzgesetzes (IfSG) voraussetzte. Beide Kammern urteilten, dass die Corona-Verordnungen und Allgemeinverfügungen der Bundesländer und Kommunen „aufgrund des“ IfSG erlassen wurden und deswegen den Versicherungsfall auslösen konnten. Ein Individual-Verwaltungsakt der Behörde gegen den Versicherten wegen eines Infektionsgeschehens in dessen Betrieb war nach der übereinstimmenden Auffassung der Kammern nicht erforderlich.
Ein im Markt verbreitetes Betriebsschließungs-Bedingungswerk gewährt Versicherungsschutz „für die folgenden, in den §§ 6, 7 IfSG enthaltenen, namentlich genannten, beim Menschen übertragbaren Krankheiten“. An diese Formulierung schließt sich in vielen Fällen eine längere Auflistung von Infektionskrankheiten und Erregern an. Diese Auflistung ist im Kern dem IfSG – in dessen bei Versicherungsvertragsschluss gültiger Fassung – entnommen. Nachträgliche Änderungen des IfSG finden im Wortlaut des Vertrags keine Berücksichtigung. SARS-CoV-2/COVID-19 wird deswegen in diesen Krankheitenkatalogen regelmäßig nicht genannt.
Auf dieser Grundlage haben das Oberlandesgericht Hamm, das Landgericht Ellwangen und das Landgericht Essen entschieden, dass Betriebsschließungen im Zusammenhang mit dem aktuellen Epidemiegeschehen nicht versichert seien. Der Versicherungsschutz beschränke sich abschließend und für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar auf die im Katalog namentlich genannten Krankheiten beziehungsweise Erreger. Die gegenteilige Rechtsauffassung vertritt das Landgericht München I. Eine Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die im Bedingungswerk namentlich genannten Krankheiten/Erreger sei – so die Kammer – intransparent und deswegen unwirksam. Die ausdrückliche Bezugnahme auf §§ 6 und 7 IfSG im Vertragstext vermittle dem Versicherungsnehmer, in Kombination mit der „werbenden Länge“ des abgedruckten Krankheitenkatalogs, den Eindruck, dass jegliches Behördenhandeln auf Grundlage des IfSG versichert sei.
Andere Bedingungswerke formulieren den Versicherungsfall ohne Bezugnahme auf das IfSG. Den abschließenden Charakter dieser letztgenannten Regelungstechnik hat beispielsweise das Landgericht Bochum bestätigt.
Die aktuellen Entwicklung der instanzgerichtlichen Rechtsprechung zeigt, dass es beim Thema Betriebsschließungsversicherung auf die Details ankommt.
Sprechen Sie uns gerne an, um Ihren Versicherungsschutz entsprechend zu prüfen.