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Wettbewerbsrecht in der Digitalwirtschaft

09.10.2019

Das Bundeswirtschaftsministerium („BMWi“) hat im September 2018 mit der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 („Kommission“) ein unabhängiges Expertengremium beauftragt, Vorschläge für die Weiterentwicklung insbesondere des europäischen Wettbewerbsrechts vorzulegen. Der kürzlich veröffentlichte Bericht der Kommission enthält 22 Empfehlungen mit Blick auf Plattformen, Datenzugang und digitale Ökosysteme. Die Vorschläge sollen der Bundesregierung unter anderem zur Vorbereitung der EU-Ratspräsidentschaft 2020 dienen.

Sind Reformen des Wettbewerbsrechts für die Digitalwirtschaft erforderlich?

Die neue Datenökonomie, die Verbreitung plattformbasierter Geschäftsmodelle und die wachsende Bedeutung marktübergreifender digitaler Ökosysteme werden häufig als „game changer“ der Digitalwirtschaft bezeichnet. Innovationen dürften dabei ein wesentlicher Treiber von Wettbewerb und wirtschaftlicher Entwicklung sein. Die Kommission sieht daher einen wirksamen Wettbewerb in der Zukunft nur durch den Schutz der Entwicklung und Vermarktung von Innovationen und durch die Stärkung der Konsumentensouveränität gewährleistet. Nach Auffassung der Kommission müssen hierfür insbesondere (1) die Verfügungsgewalt der Konsumenten über ihre eigenen Daten verbessert, (2) klare Verhaltensregeln für marktbeherrschende Plattformen eingeführt und (3) die Rechtssicherheit für Kooperationen in der Digitalwirtschaft erhöht werden.

Datenzugang und selbstbestimmter Umgang mit Daten

Daten spielen in der Digitalwirtschaft sicherlich eine ganz entscheidende Rolle. Sofern sie einmal erhoben sind, können sie beliebig oft und somit auch für die Entwicklung oder Platzierung anderer Produkte und Dienstleistungen verwendet werden. Darüber hinaus werden dem Einsatz von Daten teilweise steigende Grenzerträge nachgesagt, d. h. der Wert zusätzlicher Daten steigt, je mehr Daten das Unternehmen bereits besitzt. Dies dürfte insbesondere bei der Verwendung von selbstlernenden Algorithmen von Bedeutung sein, deren Training und Optimierung regelmäßig den Zugriff auf große Datenmengen erfordert.

Nach Auffassung der Kommission ist es für das Offenhalten der Märkte entscheidend, die Wahlfreiheit der Konsumenten zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang gilt es sog. „Lock-In“-Effekte, die durch den exklusiven Zugriff von Produkt- und Dienstanbietern auf Nutzerdaten entstehen können, zu vermeiden. Um den Nutzern vielmehr den Wechsel zu anderen Anbietern zu erleichtern, schlägt die Kommission vor, in einer Rahmenrichtlinie Grundsätze zu formulieren, wann und in welcher Weise Nutzern ein Recht eingeräumt werden sollte, Drittanbietern ein digitales Nutzerkonto zugänglich zu machen. Hierbei lässt sich eine Parallele zu der zweiten Zahlungsdienstrichtlinie („PSD2“) erkennen, nach der den sog. „dritten Zahlungsdienstleistern“ (wie z.B. PayPal) die Möglichkeit gegeben wird, auf der Grundlage eines entsprechenden Vertrages mit einem Verbraucher auf dessen Zahlungskonten zuzugreifen.

Verhaltensregeln für marktbeherrschende Plattformen

Gerade digitale Plattformen haben sich in vielen Märkten als disruptive Technologien erwiesen und führen branchenübergreifend zu umfassenden strukturellen Veränderungen. Da die Attraktivität von Plattformen häufig aus der großen Anzahl der Nutzer folgt, können diese Netzwerkeffekte jedoch auch zu Marktzutrittsschranken führen. Eine einmal erlangte marktbeherrschende Stellung kann sich dadurch besonders schnell und stark verfestigen. Wenn es erst einmal zu einem solchen Umkippen in einen monopolistischen bzw. hoch konzentrierten Markt gekommen ist (sog. „Tipping“), können Wettbewerber diese Marktstellung kaum noch angreifen (siehe dazu bereits unseren Beitrag vom 29.10.2018). Zudem können Anbieter von Waren oder Dienstleistungen (z. B. App-Entwickler) für den Zugang zur jeweiligen Marktgegenseite auf die Intermediationsleistungen bestimmter Plattformen als sog. „Gatekeeper“ angewiesen sein.

Die Kommission empfiehlt daher, marktbeherrschenden Online-Plattformen, die in der Intermediation zwischen Unternehmen und Verbrauchern tätig sind (B2C), durch eine Plattform-Verordnung konkrete Verhaltensregeln aufzuerlegen. Die Bestimmung der Marktbeherrschung soll neben Umsatzzahlen auch auf Basis von Nutzerzahlen erfolgen können. Die Messgröße der täglich aktiven Nutzer bzw. monatlich aktiven Nutzer wurde bereits in der Facebook-Entscheidung des Bundeskartellamtes zur Bestimmung einer marktbeherrschenden Stellung herangezogen (siehe dazu bereits unseren Beitrag vom 26.03.2019). Eine wichtige Verhaltensregel soll das Verbot sachlich nicht gerechtfertigter Begünstigung eigener Dienste im Verhältnis zu Drittanbietern sein. Mit dieser Thematik beschäftigte sich unlängst auch die Europäische Kommission in ihrer "Google Shopping"-Entscheidung. Sie war der Auffassung, Google habe seine marktbeherrschende Stellung als Suchmaschinenbetreiber missbraucht, indem es seinen eigenen Preisvergleichsdienst bei den Suchergebnissen stets besser als konkurrierende Angebote platziert habe.

Notifizierungsverfahren für neuartige Kooperationen

Im Bereich neuartiger Datenkooperationen sehen sich Unternehmen laut der Kommission mit einer erheblichen Rechtsunsicherheit konfrontiert. Unternehmen könnten daher innovationsfördernde Kooperation unterlassen, um sich nicht dem Verdacht eines kartellrechtswidrigen Austausches wettbewerblich sensibler Informationen ausgesetzt zu sehen.

Daher empfiehlt die Kommission, für neuartige Formen der Kooperation in der Digitalwirtschaft auf europäischer Ebene ein freiwilliges Anmeldeverfahren bei der Generaldirektion Wettbewerb einzuführen. Um eine Überlastung der Generaldirektion Wettbewerb aufgrund einer Vielzahl von Anmeldungen zu vermeiden, soll die Anmeldung auf bestimmte Kooperationen beschränkt sein. Diese müssten zum einen neue Rechtsfragen aufwerfen, die bislang nicht unionsgerichtlich geklärt oder vor Unionsgerichten anhängig sind und zum anderen aus Sicht der Nachfrager der von der Vereinbarung betroffenen Waren oder Dienste von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sein.

Vor dem Hintergrund der teilweise weitreichenden Empfehlungen der Kommission könnte das europäische Wettbewerbsrecht im Bereich der Digitalwirtschaft eine erhebliche Weiterentwicklung erfahren. Auch die Bundesregierung hat sich im Rahmen der 10. GWB zum Ziel gesetzt, das Kartellrecht zu modernisieren, um exzellente regulatorische Rahmenbedingungen für die deutsche und europäische Digitalwirtschaft zu schaffen. Unternehmen sollten bei der Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle daher stets auch wettbewerbsrechtliche Gesichtspunkte im Auge behalten und kritisch hinterfragen, ob spezifische Vorkehrungen getroffen werden müssen.