Referentenentwurf für Reallabore-Gesetz veröffentlicht
Am 15. Oktober 2024 hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz seinen Referentenentwurf für ein allgemeines Reallabore-Gesetz veröffentlicht.
Das „Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Erprobung von Innovationen in Reallaboren und zur Förderung des regulatorischen Lernens“ soll Ziele, Begriffsbestimmungen und Vorgaben für eine einheitlichere, innovationsfreundlichere Genehmigungspraxis enthalten. Zudem soll das Gesetz rechtliche Vorgaben für ein Reallabore-Innovationsportal machen und die Evaluation von Erprobungen einschließlich des Wissenstransfers an gesetzgebende Organe verbessern. Die Regelungen sollen für alle Reallabore auf bundesgesetzlicher Grundlage gelten. Adressaten des Gesetzes wären neben den Innovatoren und Innovatorinnen aber überwiegend Landesbehörden, die nach Angaben des BMWK für 80 % der Genehmigungen zuständig sind.
Das erste Konzept für ein Reallabore-Gesetz wurde bereits vor drei Jahren von der letzten Bundesregierung veröffentlicht, nachdem sie zu Beginn ihrer Legislaturperiode die Reallabore-Strategie ausgerufen hatte. Auch der Koalitionsvertrag von 2021 sah vor, ein „Reallabor- und Freiheitszonengesetz“, unter anderem mit Standards für Reallabore und Experimentierklauseln, zu schaffen. Im Sommer 2023 veröffentlichte das BMWK ein Grünbuch Reallabore zur Konsultation für ein Reallabore-Gesetz und ergänzende Maßnahmen. Der Referentenentwurf des BMWK basiert unter anderem auf dieser breiten Online-Konsultation von Stakeholdern sowie verschiedenen Gutachten von Noerr.
Reallabor und Experimentierklausel – was ist das?
Die Entwicklung und Anwendung von Innovationen steht oft vor rechtlichen Herausforderungen. Soweit eine Innovation überhaupt in den Anwendungsbereich bestehender Regulierung fällt, trifft diese häufig keine oder keine eindeutige Regelung für die Besonderheiten des neuartigen Ansatzes. Das kann dazu führen, dass die Anwendung und weitere Entwicklung der Innovation ins Stocken gerät oder (in Deutschland) ganz aufgegeben wird.
Reallabore sollen die Entwicklung und zügige Übernahme von Innovationen in den Regelbetrieb fördern. Sie stellen einen Testraum dar, in dem innovative Technologien, Produkte, Dienstleistungen oder Ansätze unter möglichst realen Bedingungen erprobt werden. Die Verwaltung begleitet das Experiment. Das Reallabor wird evaluiert und die Erkenntnisse an die gesetzgebenden Organe weitergeleitet, damit diese regulatorisch lernen und über dauerhafte Anpassungen des Rechtsrahmens entscheiden können. Als Gegenstände eines Reallabors nennt der Referentenentwurf beispielhaft klima- und umweltschonende Technologien sowie Innovationen in den Bereichen Stadt- und Regionalentwicklung, Daseinsvorsorge, Gesundheit, Bildung und Inklusion.
Rechtsgrundlage für Reallabore sind regelmäßig Experimentierklauseln. Sie bestimmen, unter welchen Voraussetzungen die zuständige Behörde eine Erprobung genehmigen, das heißt ein „Experiment“ erlauben darf. Die fachgesetzlichen Experimentierklauseln berücksichtigen dabei die Besonderheiten des jeweiligen Regelungsgegenstandes.
Der Referentenentwurf sieht entsprechende gesetzliche Definitionen von „Reallabor“, „Experimentierklausel“ und „regulatorischem Lernen“ vor.
Reallabore-Standards für eine innovationsfreundliche Genehmigungspraxis
Das Reallabore-Gesetz soll bereichsübergreifende Regelungen für die Zulassung, Durchführung und Evaluation von Reallaboren enthalten. Diese Standards sollen eine Entscheidungshilfe für die Genehmigungsbehörden bieten, die über neuartige Sachverhalte und teilweise schwer vorherzusagende Gefahrenlagen entscheiden müssen. Das Reallabore-Gesetz soll die Ausübung des behördlichen Ermessens bei Anwendung der fachgesetzlichen Experimentierklauseln lenken und zu einer einheitlicheren, innovationsfreundlicheren Genehmigungspraxis beitragen.
Bei der Ausgestaltung von Erprobungsgenehmigungen sollen die Behörden das Ziel der Innovationsförderung, die Evaluation der Erprobung und das regulatorische Lernen berücksichtigen und eine behördliche Begleitung des Reallabors vorsehen. Zudem soll es eine allgemeine Regelung zur Befristung und Verlängerung von Erprobungen geben, die immer dann greift, wenn keine speziellere fachgesetzliche Vorschrift gilt. Die zeitliche Begrenzung des Reallabors soll so gewählt werden, dass der Erprobungszweck erfüllt werden kann. Bei Bedarf soll die Erprobung zwei Mal um jeweils diesen Zeitraum verlängert werden können, sodass insgesamt drei Erprobungszyklen möglich sind.
Information und Austausch im Reallabore-Innovationsportal
Im Zentrum des Referentenentwurfs stehen rechtliche Vorgaben für das sogenannte Reallabore-Innovationsportal, eine rein digitale Informations- und Austauschplattform für Akteure aus Wirtschaft, Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Das Portal soll binnen eines Jahres nach Inkrafttreten des Reallabore-Gesetzes errichtet werden, verantwortlich ist das BMWK. Der Pilotbetrieb soll insgesamt vier Jahre dauern. Dabei soll ein externer Dienstleister das Portal aufbauen und betreiben, die Ausschreibung ist bereits erfolgt. Später soll das Portal gegebenenfalls institutionalisiert werden mit festen Strukturen.
Das Reallabore-Innovationsportal soll zur Durchführung von Reallaboren und dem anschließenden Übergang der Innovation in den Regelbetrieb beraten. Das BMWK will über das Portal Informationen bereitstellen und Fachveranstaltungen durchführen. Die an Reallaboren Beteiligten sollen sich in einem Mitgliederbereich untereinander und mit Reallabore-Paten und -Patinnen vernetzen und austauschen können. Zudem sollen rechtliche Hürden bei der Umsetzung von Innovationen an das Portal gemeldet werden können.
Das Gesetz soll die Behörden verpflichten, das Reallabore-Innovationsportal über alle genehmigten Reallabore in Kenntnis zu setzen. Die Reallabore sollen auf einer Landkarte verzeichnet werden, Vorbild ist dabei die Digi-Sandbox.NRW der Landesregierung Nordrhein-Westfalen. Mit dem Einverständnis aller Beteiligten soll die Verwaltung auch Evaluationsberichte an das Portal übermitteln, die bei entsprechendem Einverständnis nach Schwärzung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen veröffentlicht werden. Auf diese Weise sollen Informationen zu bestimmten Innovationen, Reallaboren und Regulierungsbedarf gebündelt und dem Gesetzgeber bzw. teilweise einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden können.
Im Übrigen soll das Reallabore-Innovationsportal seine Maßnahmen am Bedarf der Innovatoren und Innovatorinnen sowie Behörden ausrichten und Angebote schaffen, die sie bei der Planung, Genehmigung, Durchführung und Evaluation von Reallaboren unterstützen. Denkbar sind z. B. Vorlagen für Anträge und Berichte, eine Übersicht zu Rechtsgrundlagen für Reallabore, Checklisten und weiterführende Hinweise auf Angebote der Innovationslandschaft.
Der Referentenentwurf sieht vor, dass das Reallabore-Innovationsportal dem BMWK in regelmäßigen Abständen einen Monitoringbericht vorlegt. Die Monitoringberichte dienen der Evaluation des Portals selbst und werden Grundlage für die Berichte des BMWK an den Bundestag, die alle drei Jahre erfolgen sollen. Dadurch soll der notwendige Wissenstransfer in die Gesetzgebung sichergestellt werden.
Reaktionen auf den Entwurf
Der Vorstoß des BMWK ist vielversprechend. Die Regelungen erzeugen zwar auf den ersten Blick bürokratischen Aufwand, erleichtern aber tatsächlich die Genehmigung, Durchführung und Auswertung von Erprobungen im Reallabor. Das Reallabore-Innovationsportal ist essentiell zur Bündelung von Know-how und wird vor allem Innovatorinnen und Innovatoren den Zugang zum Reallabor erleichtern. Auch das BMWK erwartet auf Grundlage der ihm vorliegenden Daten nach Inkrafttreten des Reallabore-Gesetzes einen Anstieg der genehmigten Reallabore um etwa 25 %. Dann sollen jährlich etwa 145 neue Erprobungsgenehmigungen ergehen. Ist das Reallabore-Gesetz erst einmal verabschiedet, kann es auf Grundlage neuer Erkenntnisse um weitere Standards ergänzt werden.
In den Stellungnahmen zum Referentenentwurf wird das Vorhaben ebenfalls begrüßt. Der Entwurf geht aber nach einhelliger Meinung nicht weit genug und bleibt hinter dem Potenzial eines Reallabore-Gesetzes zurück. Insbesondere Branchenverbände kritisieren das Fehlen wesentlicher Elemente aus dem Konzept für ein Reallabore-Gesetz. So sind keine fachgesetzlichen Experimentierklauseln und nur wenige Standards für Reallabore vorgesehen. Insbesondere zur Evaluation von Reallaboren werden präzisere Vorgaben verlangt, um stärkere Anreize für eine Teilnahme am Reallabor zu schaffen und „stranded investments“ zu vermeiden. Beklagt wird auch das Fehlen des sogenannten Experimentierklausel-Checks, der in Gesetzgebungsverfahren systematisch den Bedarf nach weiteren Rechtsgrundlagen für Reallabore abfragt. Diese Kritik übersieht, dass der Check bereits in verschiedenen Handreichungen zur Gesetzgebung verankert wurde und künftig Teil des Verfahrensassistenten in der E-Gesetzgebung werden kann. Die wiederholt geforderte Pflicht zur Schaffung von Experimentierklauseln und/ oder einer „automatischen“ Verstetigung erfolgreicher Reallabore kann es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geben.
Ausblick
Bislang war geplant, den Entwurf noch 2024 im Kabinett zu beschließen und das Gesetzgebungsverfahren einzuleiten. Schon dieser Zeitplan war knapp bemessen angesichts der nächsten regulären Bundestagswahl im September 2025. Mit der nun angekündigten Vertrauensfrage dürfte ein Gesetzgebungsverfahren in der aktuellen Legislaturperiode ausgeschlossen sein.
Abzuwarten bleibt, ob das Reallabore-Innovationsportal wie geplant diesen Herbst aufgebaut und im Frühjahr 2025 in Betrieb gehen wird. Dafür bedarf es keines Reallabore-Gesetzes. Allerdings bleiben die Mitteilung von Reallaboren und die Anfertigung sowie Übermittlung von Monitoring-Berichten freiwillig, solange entsprechende gesetzliche Verpflichtungen fehlen.