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Neue Kompetenzen des Bundes­kartell­amts im Verbraucher­schutz

01.08.2017

Die am 09. Juni 2017 in Kraft getretene 9. GWB-Novelle verschafft dem Bundeskartellamt die Befugnis, sogenannte Sektoruntersuchungen auch im Bereich des Verbraucherschutzes durchzuführen. Damit wird dem Schutz der Verbraucher durch das Kartellrecht zu neuer Wirkung verholfen. Außerdem erhält das Bundeskartellamt die Befugnis, sich in verbraucherrechtliche Streitigkeiten einzubringen.

Bislang war der Verbraucherschutz kein unmittelbarer Schutzgegenstand des deutschen Kartellrechts. Durch die Verhinderung wirtschaftlicher Machtstellungen sollten (auch) die Verbraucher vielmehr indirekt geschützt werden. Insbesondere sah das deutsche Kartellrecht keine verbraucherschützenden Regeln vor und das deutsche Bundeskartellamt hatte keine eigenen Kompetenzen zur Durchsetzung verbraucherschützender Normen.

Sektoruntersuchungen zum Zweck des Verbraucherschutzes


Bisher kann das Bundeskartellamt einen bestimmten Wirtschaftszweig untersuchen, sofern es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Wettbewerb in diesem Sektor eingeschränkt oder verfälscht ist. Nach neuer Rechtslage kann das Bundeskartellamt auch dann eine Sektoruntersuchung einleiten, wenn ein begründeter Verdacht auf erhebliche, dauerhafte oder wiederholte Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften vorliegt. Diese Verstöße müssen ihrer Art oder ihrem Umfang nach die Interessen einer Vielzahl von Verbraucherinnen und Verbrauchern beeinträchtigen (§ 32e Absatz 5 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)). Verbraucherrechtliche Vorschriften sind Rechtsnormen, die sowohl den einzelnen Verbraucher als auch die Allgemeinheit als Konsumenten von Gütern oder Dienstleistungen schützen sollen. Dazu zählen vor allem das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und Verbrauchschutzgesetze im Sinne des § 2 Absatz 2 des Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen (UKlaG). Ein Verstoß gegen das UWG liegt beispielsweise regelmäßig in der Verwendung unwirksamer Allgemeiner Geschäftsbedingungen (AGB) oder bei der verdeckten Werbung für Produkte (sog. Schleichwerbung) gegenüber Verbrauchern vor. Da Schleichwerbung in der Regel eine Vielzahl von Verbrauchern trifft und AGB bereits per Definition für eine Vielzahl von Verträgen vorgesehen sind (§ 305 Absatz 1 Satz 1 BGB), wirken sich derartige Verstöße typischerweise auf die Belange einer größeren Gruppe von Verbrauchern aus.

Ausweislich der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (hier abrufbar), soll das Bundeskartellamt eine Sektoruntersuchung zum Zweck des Verbraucherschutzes nur dann einleiten, wenn aufgrund der Vielzahl vergleichbarer Fälle ein öffentliches Interesse an der Untersuchung besteht. Ein öffentliches Interesse liegt dann vor, wenn ein erheblicher, dauerhafter oder wiederholter Verstoß gegen verbraucherschutzrechtliche Vorschriften zum Nachteil einer Vielzahl von Verbrauchern vermutet wird.

In den Bereichen, in denen die Durchsetzung von verbraucherrechtlichen Vorschriften bereits einer anderen Bundesbehörde übertragen ist, soll das Bundeskartellamt keine Untersuchung durchführen können (§ 32e Absatz 5 Satz 2 GWB). Dies ist zum Beispiel bei Rufnummernmissbrauch oder unerlaubter Telefonwerbung der Fall, welche nach § 67 TKG bzw. § 20 UWG durch die Bundesnetzagentur verfolgt werden. Hieran zeigt sich, dass dem Bundeskartellamt neue Befugnisse eingeräumt und nicht Befugnisse anderer Bundesbehörden übertragen werden sollten.

Nach seiner Pressemitteilung vom 12. Juni 2017 (hier abrufbar) sieht das Bundeskartellamt im Bereich der Internetwirtschaft die meisten zukünftigen Anwendungsfälle für Sektoruntersuchungen, da dort „Unternehmen durch eine einzige rechtswidrige Maßnahme Millionen Verbrauchern auf einmal schaden können.“

Das Bundeskartellamt als amicus curiae in verbraucherrechtlichen Streitigkeiten


Zusätzlich erhält das Bundeskartellamt in Zukunft die Befugnis, sich als amicus curiae in Streitigkeiten einzubringen, die erhebliche, dauerhafte oder wiederholte Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften zum Gegenstand haben und nach Art und Umfang die Interessen einer Vielzahl von Verbrauchern beeinträchtigen (§ 90 Absatz 6 GWB). Es hat dabei die Möglichkeit, bei den Gerichten Abschriften von Schriftsätzen, Protokollen, Verfügungen und Entscheidungen anzufordern und sich durch eine eigene schriftliche oder mündliche Stellungnahme am Rechtsstreit zu beteiligen. Für Kartellzivilrechtsstreitigkeiten verfügt das Bundeskartellamt bereits über ein solches Instrument der Einflussnahme und macht davon – jedenfalls in der Revisionsinstanz vor dem Bundesgerichtshof – regen Gebrauch.

In Deutschland werden die Rechte von Verbrauchern bisher überwiegend durch privatrechtliche Klagen von Verbänden, Wettbewerbern oder öffentlichen Stellen durchgesetzt. In diesen Rechtsstreitigkeiten soll das Bundeskartellamt zukünftig seine besondere Sachkenntnis von der Marktstruktur und möglichen Rechtsverstößen in gleicher Weise als amicus curiae einbringen können, wie dies in Verfahren mit kartellrechtlichem Bezug bereits heute der Fall ist. Mit seinem Wissen und seiner Erfahrung kann es den Gerichten eine wichtige Unterstützung bei der Rechtsfindung sein. Voraussetzung für eine Beteiligung des Bundeskartellamts ist, dass Gegenstand eines solchen Rechtsstreits Zuwiderhandlungen sind, welche die Rechte und Interessen einer Vielzahl von Verbrauchern beeinträchtigen, wodurch ein öffentliches Interesse an deren Beendigung besteht. Dies ist nach der amtlichen Begründung (hier abrufbar) regelmäßig dann der Fall, wenn ein Unternehmer wegen einer unzulässigen geschäftlichen Handlung nach §§ 8 bis 10 UWG oder nach § 1 oder § 2 UKlaG von einer qualifizierten Einrichtung (z. B. Deutscher Mieterbund e.V. und Verbraucherzentrale Berlin e.V.) oder von rechtsfähigen Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen in Anspruch genommen wird. Für Klagen einzelner Verbraucher soll das Beteiligungsrecht hingegen nicht bestehen. Parallel zur Befugnis, Untersuchungen einzuleiten, soll das Bundeskartellamt auch keine amicus curiae-Position in den Bereichen innehaben, in denen die Durchsetzung der Vorschriften einer anderen Bundesbehörde übertragen wurde (§ 90 Absatz 6 Satz 2 GWB).

Internationale Vorbilder


Die Einführung einer erweiterten Zuständigkeit der Kartellbehörde für den Verbraucherschutz ist international gesehen nicht ohne Vorbild. Im Vereinigten Königreich ist die Competition und Markets Authority für den Schutz des Wettbewerbs und der Verbraucher zuständig. Die US-amerikanische Federal Trade Commission und die italienische Autorità Garante della Concorrenza e del Mercato sind jeweils Kartellbehörden, deren Befugnisse im Bereich des Wettbewerbsrechts um Eingriffsbefugnisse bei massenhaften Schädigungen von Verbrauchern erweitert wurden. So ist die italienische Kartellbehörde berechtigt, unlautere Handelspraktiken sowohl aufgrund von Verbraucherbeschwerden als auch von Amts wegen zu untersuchen. Dabei kann die Behörde die aus dem Kartellrecht bekannten Instrumente der einstweiligen Anordnung, Abstellungsverfügung, Geldbuße und Durchsuchung vollumfänglich zum Schutz der Verbraucher einsetzen. Und auch das polnische Amt für Wettbewerbs- und Verbraucherschutz, zuständig für die Umsetzung der Verbraucherschutzpolitik, kann von Amts wegen Verwaltungsverfahren bei Verstößen gegen die kollektiven Interessen der Verbraucher einleiten. Ein Verstoß gegen kollektive Verbraucherinteressen liegt nach polnischem Recht insbesondere in der Anwendung von AGB, die in das Register der verbotenen Klauseln eingetragen wurden; ebenso im Inverkehrbringen von ungenauen, falschen oder unvollständigen Informationen sowie bei unlauteren Geschäftspraktiken oder Handlungen. Auch in Dänemark, Finnland, Irland, Niederlande und Ungarn sind der Schutz des Wettbewerbs und die Durchsetzung der Verbraucherrechte unter dem Dach einer Behörde vereint.

Ferner gibt es auf europäischer Ebene Bestrebungen, die Kompetenzen im Bereich des Verbraucherschutzes zu optimieren. So hat die Europäische Kommission am 30. Juni 2017 eine öffentliche Konsultation zur gezielten Überarbeitung der EU-Verbraucherschutzrichtlinien eingeleitet und zugleich eine Folgenabschätzung veröffentlicht, in der geplante Maßnahmen zur Stärkung der europäischen Verbraucherrechte dargestellt und analysiert werden (hier abrufbar).

Neue Beschlussabteilung nimmt Arbeit auf


Mit Inkrafttreten der Novelle hat das Bundeskartellamt umgehend eine neue Beschlussabteilung für Verbraucherschutz eingerichtet. Eine baldige Anwendung der neuen Befugnisse erscheint damit wahrscheinlich. Abzuwarten bleibt, inwieweit das Bundeskartellamt seine durch die neuen Kompetenzen gewonnenen Erkenntnisse in kartellrechtliche Verfahren einfließen lässt und inwiefern verbraucherschutzschutzrechtliche Aspekte in Zukunft eine stärkere Betonung in Missbrauchs- und Fusionskontrollverfahren finden werden. Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamts, sieht in der gegenwärtigen Zuständigkeitserweiterung jedenfalls nur einen „ersten Schritt“.

Wesentliche Neuerungen durch die 9. GWB-Novelle


Die 9. GWB-Novelle bringt einige Neuerungen mit sich. Lesen Sie auch die folgenden Artikel zu diesem Thema: