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Massive Aufstockung der Verteidigungsausgaben

07.03.2022

Als Reaktion auf den Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine hat Bundeskanzler Olaf Scholz am 27. Februar 2022 in seiner Regierungserklärung eine massive Aufstockung der deutschen Verteidigungsausgaben angekündigt. Demnach soll die Bundeswehr über ein Sondervermögen 100 Milliarden Euro für Investitionen und Rüstungsvorhaben aus dem Bundeshaushalt erhalten.

Ersten Plänen zufolge soll der größte Teil des Sondervermögens (etwa 68 Milliarden Euro) in nationale Großprojekte fließen. So sind nach Medienberichten, die sich auf eine interne Liste des Verteidigungsministeriums berufen, u.a. 15 Milliarden Euro für die Nachfolge der Tornado-Flotte der Luftwaffe, 5 Milliarden Euro für neue Transporthubschrauber, 3 Milliarden Euro für die Digitalisierung der Truppe (beispielsweise Modernisierung der Kommunikationssysteme mit neuen Funkgeräten) und 20 Milliarden Euro für neue Munition geplant.

In diesem Zusammenhang stellte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, schließlich fest, dass der schlechte Zustand der Truppe nicht nur eine Frage des Geldes sei, sondern auch eine von Organisation und effizienter Führung. Sie forderte: „Das Beschaffungswesen der Bundeswehr muss dringend schlanker und wirkungsvoller werden. Die Bundeswehr sollte deutlich mehr zur Direktvergabe übergehen – von Bekleidung über Hubschrauber bis zu Schnellbooten.“

Bei der Umsetzung dieses ehrgeizigen Vorhabens stellen sich sowohl verfassungs- als auch vergaberechtlich komplexe Rechtsfragen.

Verfassungsrechtliche Aspekte hinsichtlich der Gründung eines Sondervermögens

Für die massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben ist die Einrichtung eines Sondervermögens geplant. Dies stellt kein völlig neues Instrument der Finanzierung dar, hat sich der Bund dessen doch in der Vergangenheit bereits u.a. im Zusammenhang mit dem Energie- und Klimafonds sowie jüngst im Rahmen der COVID-19-Pandemie bedient. Die Einrichtung eines Sondervermögens für die Bundeswehr ist grundsätzlich sowohl einfachgesetzlich als auch auf der Grundlage einer Verfassungsänderung mit einer Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag möglich. Die Bundesregierung plant derzeit aus rechtlichen und politischen Gründen, die Einrichtung des Sondervermögens verfassungsrechtlich abzusichern. Infolge einer Grundgesetzänderung würde wohl ein Ausführungsgesetz erlassen werden, in dem die Einzelheiten zur Kreditaufnahme und zur Rückführung geregelt werden.

Hierfür spricht aus verfassungsrechtlicher Sicht vor allem, dass ein nur einfachgesetzlich etabliertes Sondervermögen als unzulässige Umgehung der grundgesetzlich verankerten „Schuldenbremse“ angesehen werden könnte. Die „Schuldenbremse“ erlaubt eine jährliche Neuverschuldung von insgesamt 0,35% der Wirtschaftsleistung. Diese Grenze darf nur überschritten werden, wenn Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen eintreten, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen. Ob eine solche Notsituation aufgrund des Einmarsches russischer Truppen in die Ukraine und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit, die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu stärken, gegeben ist, wäre zumindest fraglich. Ein grundgesetzlich abgesichertes Sondervermögen könnte demgegenüber als nicht der „Schuldenbremse“ unterfallendes Sondervermögen ausgestaltet werden.

Aus politischen Gründen hätte eine verfassungsrechtliche Verankerung den Vorteil, dass damit sichergestellt würde, dass die Mittel auch dem Zweck Verteidigung und Sicherheit zugeführt werden, da eine „Umwidmung“ der Gelder erst durch eine erneute Verfassungsänderung möglich wäre.

Europarechtlich wäre die Einrichtung eines Sondervermögens wohl ebenfalls zulässig, da die Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts 2022, die eine europarechtliche „Schuldenbremse“ enthalten, aufgrund der COVID-19-Pandemie ausgesetzt wurden. Laut des nun veröffentlichten Leitfadens der EU-Kommission soll diese Aussetzung für das Jahr 2023 aufrechterhalten bleiben, was nicht zuletzt mit den Unsicherheiten durch die Ukraine-Krise begründet wurde. Eine finale Entscheidung darüber steht noch im Frühjahr 2022 an.

Vergaberechtliche Aspekte sowie Möglichkeiten und Grenzen „schlanker“ Beschaffung

Aus vergaberechtlicher Sicht dürften zunächst Instrumente für eine „schlanke“ Beschaffung in den Fokus rücken, um langwierige Verfahren zu vermeiden und die geplante Modernisierung der Bundeswehr zeitnah zu verwirklichen.

Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht bei verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen

Überwiegend dürfte es sich bei den nun geplanten Beschaffungsmaßnahmen um sog. verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge gem. § 104 Abs. 1 GWB handeln. Hierunter fallen beispielsweise die Lieferung von militärischer Ausrüstung einschließlich dazugehöriger Bauteile. Derartige Beschaffungsmaßnahmen unterliegen grundsätzlich dem Vergaberecht und sind infolgedessen öffentlich – regelmäßig europaweit – auszuschreiben.

Das deutsche und das europäische Recht kennen aber spezielle Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht im Bereich Verteidigung und Sicherheit. Besondere Bedeutung im Rüstungsbereich hat dabei § 107 Abs. 2 GWB. Dieser sieht zwei Ausnahmen für bestimmte Aufträge für Militärausrüstung vor: Erstens, wenn der Auftraggeber dadurch zur Erteilung von Auskünften gezwungen würde, deren Preisgabe wesentlichen Sicherheitsinteressen i. S. d. Art. 346 Abs. 1 lit. a) AEUV widerspricht, oder zweitens, wenn die öffentlichen Aufträge bzw. Konzessionen dem Anwendungsbereich des Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV unterliegen. Besondere Bedeutung für die geplanten Vorhaben dürfte insbesondere der zweite Fall haben.

Nach Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV kann jeder Mitgliedstaat die Maßnahmen ergreifen, „die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind“, soweit sie die Beschaffung von (ausschließlich) militärischen Gütern betreffen. Welche militärischen Güter unter die Regelung fallen, wurde konstitutiv und abschließend am 15. April 1958 vom Europäischen Rat in einer Liste beschlossen. Diese wurde zwar seitdem nicht neu gefasst, lässt sich jedoch durch eine dynamische Auslegung auf moderne Rüstungsgüter anwenden. Wann wesentliche Sicherheitsinteressen berührt sind, hat der Gesetzgeber im Rahmen des „Gesetzes zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und der Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik“ vom 25. März 2020 in Form von Regelbeispielen in § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB ergänzt. Danach sollen wesentliche Sicherheitsinteressen insbesondere dann berührt sein, wenn der öffentliche Auftrag oder die Konzession verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien betrifft. Was zu einer Schlüsseltechnologie zählt, wurde im Strategiepapier zur Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie dargelegt. Dazu gehören u.a. U-Boote, gepanzerte Fahrzeuge und der Marineüberwasserschiffbau. Hinsichtlich der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV obliegt den Mitgliedstaaten ein weiter Ermessensspielraum. Dennoch gilt, dass jeder Beschaffungsvorgang einzeln zu prüfen ist und der Mitgliedstaat die Beweislast dafür trägt, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der Ausnahme vorliegen.

In den letzten Jahren hat der Europäische Gerichtshof die Reichweite des Ausnahmetatbestands des Art. 346 AEUV auf Fälle eingegrenzt, in denen ausschließlich Sicherheitsinteressen von Staaten einschlägig sind und nicht andere Interessen, wie zum Beispiel solche wirtschaftlicher oder industriepolitischer Art. Gleichwohl finden sich in der Praxis der Mitgliedstaaten erhebliche Gegentendenzen, die auf eine Ausweitung des mitgliedstaatlichen Handlungsspielraums im Hinblick auf Art. 346 AEUV abzielen, wie sich auch in der Einfügung der genannten Regelbeispiele durch den deutschen Gesetzgeber zeigt. Es bleibt abzuwarten, wie sich dieses Spannungsverhältnis in Zukunft weiter entwickelt.

Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht bei sonstigen Aufträgen

Auch für nicht-militärische Güter bestehen in § 117 GWB Ausnahmen von der Ausschreibungspflicht, wenn beispielsweise wesentliche Sicherheitsinteressen betroffen sind. Erfasst werden u. a. Beschaffungsmaßnahmen der Bundeswehr, die sich nicht auf einen verteidigungsspezifischen Gegenstand beziehen, oder auf die Beschaffung von Ausrüstung für nicht-militärische Sicherheitszwecke, wie etwa der Bezug von Informationstechnik oder Telekommunikationsanlagen.

Beschleunigtes Vergabeverfahren aus dringlichen Gründen

Ferner bietet das Vergaberecht auch Möglichkeiten zur Beschleunigung oder zum Absehen eines offenen Wettbewerbs in bestimmten Konstellationen, wie bei „dringlichen Gründen im Zusammenhang mit einer Krise“ in § 12 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) aa) VSVgV. Eine solche Krise liegt bei bewaffneten Konflikten und Kriegen – wie derzeit in der Ukraine – regelmäßig vor.

Im Rahmen des „Gesetzes zur beschleunigten Beschaffung im Bereich der Verteidigung und der Sicherheit und zur Optimierung der Vergabestatistik“ vom 25. März 2020 wurden weitere Fälle in die Verordnung aufgenommen. So liegt ein dringlicher Grund „in der Regel“ u.a. vor, wenn mandatierte Auslandseinsätze oder einsatzgleiche Verpflichtungen der Bundeswehr (Nr. 1) oder friedenssichernde Maßnahmen (Nr. 2) kurzfristig eine neue Beschaffung erfordern oder bestehende Beschaffungsbedarfe steigern. Je nach konkreter Ausgestaltung der Lage ist nun im Hinblick auf die Geschehnisse in der Ukraine ein beschleunigtes Verfahren etwa aufgrund einer einsatzgleichen Verpflichtung der Bundeswehr oder auch als friedenssichernde Maßnahme denkbar.

Beschleunigte Nachprüfungsverfahren

Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist zudem die Möglichkeit Nachprüfungsverfahren zu beschleunigen, zumal in der Berufungsinstanz der Beschleunigungsgrundsatz des § 167 Abs. 1 GWB nicht gilt und die Verfahren vor den Oberlandesgerichten deutlich länger andauern können. Es steht dem öffentlichen Auftraggeber daher frei, vor dem Vergabesenat oder der Vergabekammer einen Eilantrag zu stellen (§§ 169 Abs. 2, 176 Abs. 1 GWB). In seiner Entscheidung wägt das Gericht ab, ob das Beschleunigungsinteresse des Auftraggebers gegenüber dem Interesse des Klägers überwiegt. Im Falle einer Krise (Nr. 1), eines mandatierten Einsatzes der Bundeswehr (Nr. 2) oder einer Bündnisverpflichtung (Nr. 4) soll das Interesse des Auftraggebers „in der Regel überwiegen“.

Mögliche Reformansätze für das Beschaffungswesen

Im Zuge der jüngsten Ereignisse kündigte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht in Abstimmung mit dem Justizminister Dr. Marco Buschmann weitere Vereinfachungen des Vergaberechts an, um das Beschaffungswesen effizienter zu gestalten. Anregungen für Verbesserungen und Reformen bot bereits ein Beschluss der FDP-Bundestagsfraktion aus dem letzten Jahr, in dem u.a. betont wurde, dass Klagen weiterhin ein Unsicherheitsfaktor für die Beschaffung seien und die vorgesehenen Ausnahmen besser genutzt werden müssten. Ferner wurde vorgeschlagen, von der Möglichkeit der Vorabgestattung des Zuschlags aufgrund besonderer Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen nach § 169 Abs. 2 GWB vermehrt Gebrauch zu machen.

Alle Bestrebungen die Vergabeverfahren zu beschleunigen und teilweise zu vermeiden, müssen den europäischen Rechtsrahmen wahren. Das Vergaberecht bietet zudem viele Gestaltungsmöglichkeiten, auch im Rahmen öffentlicher Ausschreibungen. Ausschreibungen bleiben ein wichtiges Instrument, um Haushaltsmittel möglichst wirtschaftlich und sparsam einzusetzen. Dies muss in der nunmehr aufkommenden Debatte ebenfalls berücksichtigt werden.