„Climate Change Litigation“
Anknüpfend an die sog. Klimaschutzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, durch die das Gericht das Klimaschutzgesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt hat, sind nun auch Verfassungsbeschwerden gegen einzelne Bundesländer anhängig gemacht worden. Zudem sind die Deutsche Umwelthilfe und Greenpeace im Begriff, verschiedene deutsche Automobilhersteller sowie einen Erdöl- und Erdgasförderer auf Grundlage zivilrechtlicher Unterlassungsansprüche zu verklagen, sollten diese sich nicht zu bestimmten Klimaschutzmaßnahmen verpflichten. Teilweise wurden Klagen bereits eingereicht.
Auch wenn die Erfolgsaussichten der zivilrechtlichen Klimaklagen gegen Unternehmen wegen ihrer Neuartigkeit derzeit nicht verbindlich bewertet werden können, dürften die Ankündigungen der Umweltverbände schon aus Reputationsgründen den Druck auf Unternehmen weiter erhöhen, ihre Tätigkeit verstärkt an Klimaschutzzielen auszurichten. Diese Wirkung ging bereits mit der Klimaschutzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts einher und scheint sich zu verfestigen.
Verfassungsbeschwerden gegen Bundesländer
Mit den Verfassungsbeschwerden, die ebenfalls mit der Unterstützung der Deutschen Umwelthilfe vor dem Bundesverfassungsgericht und teilweise den Landesverfassungsgerichten gegen verschiedene Bundesländer geführt werden, soll umfassenderer gesetzlicher Klimaschutz in den jeweiligen Ländern erreicht werden. Daneben wurden teilweise auch verwaltungsgerichtliche Klagen mit vergleichbarem Ziel erhoben. Aktuell sind Beschwerden und Klagen gegen Bayern, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, das Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt anhängig.
Im Ausgangspunkt differenzieren die Beschwerden danach, ob der betroffene Landesgesetzgeber bereits ein Gesetz zum Klimaschutz erlassen hat oder nicht. Argumentativ gehen sie jedoch unabhängig von der Existenz eines solchen Gesetzes gleichermaßen vor: Zentral ist stets der Hinweis auf die Klimaschutzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts und die in dieser festgestellte Grundrechtsvorwirkung, die nach Ansicht der Beschwerdeführer zur Folge habe, dass die Landesgesetzgeber ihre Klimagesetze verschärfen oder solche erstmalig erlassen müssen. Hierbei sei es erforderlich, dass die Landesgesetzgeber in solchen Gesetzen Reduktionspfade festlegen, die zur Klimaneutralität führen und dem verbleibenden Restbudget an CO2-Emissionen entsprechen.
Anspruchsschreiben und erste Klagen der Deutschen Umwelthilfe und Greenpeace
In ihren zivilrechtlichen Anspruchsschreiben von Anfang September verlangen die Deutsche Umwelthilfe und Greenpeace von den Automobilherstellern unter anderem, ihren CO2-Ausstoß sowie den Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor bis 2029 zu verringern und aus dem Geschäft mit Verbrenner-Fahrzeugen im Jahr 2030 vollständig auszusteigen. Von dem Erdöl- und Erdgasunternehmen fordert die Deutsche Umwelthilfe, die Förderung nur in bestimmten CO2-Emmissionsgrenzen und darüber treibhausgasneutral weiter zu betreiben und ab dem Jahr 2026 keine neuen Öl- oder Gasfelder zu eröffnen.
Diese Forderungen sollen mittels eines zivilrechtlichen klimaschützenden Unterlassungsanspruchs durchgesetzt werden. Die Deutsche Umwelthilfe und Greenpeace sehen schon jetzt für die Zukunft Grundrechte durch die Geschäftstätigkeiten der Unternehmen verletzt, weil sie mit dem Verkauf von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor bzw. der Förderung von Erdöl und -gas wesentlich zum Verbrauch des CO2-Restbudgets, welches Deutschland bei der Erfüllung seiner Verpflichtung zur Klimaneutralität noch zur Verfügung steht, beitragen würden mit der Folge, dass zukünftig grundrechtsintensivere Klimaschutzmaßnahmen ergriffen werden müssten.
Die Deutsche Umwelthilfe und Greenpeace nehmen daher die Unternehmen in die Pflicht, die Freiheiten zukünftiger Generationen zu sichern, indem sie noch weiter als bereits vorgesehen CO2 reduzieren. Mit ihren Anspruchsschreiben fordern die Vereine nun die Unternehmen auf, ihr vermeintlich klimaschädigendes Verhalten zu unterlassen. Sie kündigen an, anderenfalls ihre Ansprüche vor den Zivilgerichten durchzusetzen, da infolge der Klimaschutzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts der Klimaschutz nunmehr justiziabel sei und auch Unternehmen – über die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten – dem verfassungsrechtlichen Klimaschutzauftrag verpflichtet seien.
Am 21. September 2021 gab die Deutsche Umwelthilfe bekannt, auf dieser Grundlage nun erste Klagen gegen zwei Deutsche Automobilhersteller vor dem LG München I und dem LG Stuttgart eingereicht zu haben.
Handlungsdruck für Unternehmen?
Die rechtliche Durchsetzbarkeit dieser Unterlassungsansprüche ist derzeit noch offen. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich die Justiz künftig vermehrt mit Themen dieser Art auseinandersetzen wird. In dem vielbeachteten Klageverfahren des peruanischen Landwirts Saúl Luciano, in dem dieser ebenfalls aus zivilrechtlicher Störerhaftung von RWE Kompensation für ein durch abschmelzende Gletscher erhöhtes Flutrisiko sucht, ist dies bereits der Fall. Der Kläger sieht den Energiekonzern als Betreiber von Kohle- und Gaskraftwerken und damit CO2-Emmittenten als Mitverursacher des Flutrisikos. Das mit der Revision befasste OLG Hamm ist in die Beweisaufnahme eingetreten (OLG Hamm Az. I-5 U 15/17).
Das Thema der „Climate Compliance“ ist damit jedenfalls gesetzt und dürfte – unabhängig von einer rechtlichen Verantwortlichkeit – ein Reputationsthema für Unternehmen darstellen. Bereits das geltende Recht stellt umweltbezogene Verhaltensanforderungen an Unternehmen, deren Erfüllung durchaus sinnvoller Gegenstand einer Compliance Prüfung mit Blick auf umweltbezogene Pflichten sein kann. Gesetzlicher Anknüpfungspunkt für solche Pflichten sind beispielsweise das Bundesimmissionsschutzgesetz, das Kreislaufwirtschaftsgesetz, das Gesetz über den Handel mit Berechtigungen zur Emission von Treibhausgasen, aber auch das kürzlich verkündete Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten.
Ausblick
Die jüngsten Ereignisse unterstreichen nochmals, dass Gerichtsverfahren zum Klimawandel längst nicht mehr nur ein Thema des angloamerikanischen Rechtskreises ist. Auch europäische und deutsche Gerichte werden perspektivisch zunehmend mit Rechtsstreitigkeiten über auf den Klimaschutz gestützte Ansprüche auf Unterlassen, Gegenmaßnahmen und Schadenersatz befasst sein. Zwar richtet sich die Mehrheit der bereits geführten Klagen bisher vornehmlich gegen die Bundesregierung und die Bundesländer, zukünftig dürften jedoch auch private Akteure und Unternehmen vermehrt Klagen zu erwarten haben. Unternehmen sollten vor diesem Hintergrund jedenfalls dort ihre umweltbezogenen Pflichten im Blick haben, wo bestehende Gesetze justiziable Vorgaben machen. Umweltrechtliche Risikoanalysen können hierfür hilfreich sein.