Berliner Sparkasse erringt Erfolg in Musterfeststellungsverfahren
Noerr berät die Berliner Sparkasse im AGB-Recht und in strategischen Fragen der Abwehr von Verbandsklagen. Am 03.06.2025 hat der Bundesgerichtshof (BGH) über eine Musterfeststellungsklage des Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (vzbv) gegen die Berliner Sparkasse entschieden (Az. XI ZR 45/24). Die Berliner Sparkasse hatte im Jahr 2016 ihre Preise angepasst, gestützt auf einen seinerzeit von allen Kreditinstituten verwendeten AGB-Änderungsmechanismus (die sog. Zustimmungsfiktion). Während der BGH Preisanpassungen, die auf eine Zustimmungsfiktionsklausel gestützt waren, als unwirksam erachtete, bestätigte er insbesondere die Auffassung der Berliner Sparkasse, dass die Kenntnis der Verbraucher von der Unwirksamkeit der Zustimmungsfiktionsklausel für den Beginn der Verjährungsfrist – auch unter Berücksichtigung des Europarechts – nicht erforderlich ist und Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen (Entgeltanpassung und -abrechnung) ausreicht. Zudem entschied der BGH erstmals, dass Unternehmen in Musterfeststellungsverfahren Widerklage erheben können, um sämtliche relevanten Fragen des Rechtsstreits entscheiden zu lassen.
Hintergrund
Mit Urteil vom 27.04.2021 (XI ZR 26/20) erklärte der BGH solche Klauseln in Verbraucher-AGB für unwirksam, die vorsehen, dass die Zustimmung des Kunden zu Entgeltanpassungen unter bestimmten Voraussetzungen als erteilt gilt (bzw. fingiert wird). Gestützt auf das Urteil des BGH erhob der vzbv im Dezember 2021 gegen die Berliner Sparkasse Musterfeststellungsklage. Nach Auffassung des vzbv sind die Preisanpassungen, die auf die unwirksame Zustimmungsfiktionsklausel gestützt wurden, unwirksam, sodass Kunden insoweit Bereicherungsansprüche zustünden.
Gegenstand des Verfahrens waren insgesamt neun Feststellungsziele des vzbv. Im Kern drehte sich die Auseinandersetzung jedoch um drei zentrale Fragen: Erstens, ob die Entgeltanpassungen im Jahr 2016 im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung – in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH zu Energielieferungsverträgen – trotz der Unwirksamkeit der AGB-Klausel als wirksam anzusehen sind, weil Kunden das erhöhte Entgelt über einen längeren Zeitraum beanstandungslos gezahlt haben (sog. Dreijahreslösung). Zweitens, ob Kunden Wertersatz für empfangene Leistungen zu zahlen haben und ob diese Frage im Wege der Widerklage geklärt werden kann. Drittens, ob der Lauf der Verjährungsfrist jedenfalls bis zum Erlass des BGH-Urteils im April 2021 hinausgeschoben war, weil es auf die Rechtskenntnis des Verbrauchers von der Unwirksamkeit der AGB-Klausel und nicht lediglich auf seine Tatsachenkenntnis ankommt.
„Dreijahreslösung“ nicht auf Bankverträge übertragbar
Der BGH erachtete die Preisanpassung – wie bereits im Urteil vom 19.11.2024 (XI ZR 139/23) – als unwirksam, weil die für Energielieferungsverträge entwickelte Dreijahreslösung nicht auf Bankverträge übertragbar sei. Ausschlaggebend dafür ist, dass die Zustimmungsfiktionsklausel – anders als die im Energiesektor üblichen Preisanpassungsklauseln – nach Auffassung des BGH den Vertragsinhalt nicht direkt ändere, die Unwirksamkeit der Klausel damit nicht zu einer Lücke im Vertrag führe und auch keine Gesamtnichtigkeit der betroffenen Verträge drohe.
Widerklage in Musterfeststellungsverfahren zulässig
Bisher ungeklärt war, ob Unternehmen in einem Musterfeststellungsverfahren Widerklage erheben können, um Tatsachen- und Rechtsfragen zu klären, die für etwaige Verbraucheransprüche vorgreiflich sind, vom Verbraucherverband aber – bewusst oder unbewusst – nicht zum Gegenstand der Klage gemacht wurden. Das war vorliegend relevant, weil die Berliner Sparkasse gestützt auf Stimmen in der Literatur im Rahmen einer Hilfswiderklage die Auffassung vertrat, dass Kunden für die erhaltenen Leistungen Wertersatz schuldeten und ihnen damit per Saldo selbst dann keine Ansprüche zustehen, wenn die Preisanpassung unwirksam war.
Der BGH verneinte zwar entsprechende Wertersatzansprüche, weil die Leistungen auf der Grundlage wirksamer Verträge und daher mit Rechtsgrund erbracht wurden. Zugleich entschied er aber erstmals, dass Unternehmen im Rahmen einer Musterfeststellungsklage Widerklage erheben und sich somit umfassend und effektiv verteidigen können.
Beginn der kenntnisabhängigen Verjährungsfrist nicht hinausgeschoben
Mit Blick auf die potenzielle Breitenwirkung von besonderer Bedeutung war die dritte Kernfrage des Verfahrens, ob der Lauf der Verjährungsfrist jedenfalls bis zum BGH-Urteil im April 2021 hinausgeschoben war.
Nach Ansicht des vzbv war dies der Fall, weil der EuGH aus der Klausel-Richtlinie ableitet, dass der Lauf der Verjährungsfrist von der Rechtskenntnis von Verbrauchern abhängig sei (vgl. auch Noerr-News vom 26.01.2024). Der BGH hat diese Ansicht abgelehnt. Er ist stattdessen der Argumentation der Berliner Sparkasse gefolgt, dass die notwendige unionsrechtskonforme Auslegung nicht in Betracht kommt, weil der deutsche Gesetzgeber ausweislich des Wortlauts des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB und der Gesetzeshistorie den Verjährungsbeginn an Tatsachenkenntnis und nicht an Rechtskenntnis anknüpft. Zudem entschied der BGH, dass Kunden eine Klage auch bereits vor dem Urteil im April 2021 zumutbar war, weil die Zustimmungsfiktionsklausel zuvor höchstrichterlich nicht gebilligt worden war und die Unwirksamkeit sich aus bereits anerkannten AGB-rechtlichen Grundsätzen ableiten ließ.
Damit bleibt es bei den anerkannten Regeln des deutschen Verjährungsrechts, wonach Tatsachenkenntnis für den Verjährungsbeginn ausreichend ist. Diese Kenntnis lag hier vor, nachdem die Kunden über die beabsichtigten Änderungen der Entgelte informiert und diese Entgelte in den Saldoabschlüssen der Girokonten ausgewiesen waren.
Noerr ist Vorreiter bei der Abwehr von Kollektivklagen und Massenverfahren. Mit dem spezialisierten Team der Praxisgruppe Class & Mass Action Defense berät Noerr regelmäßig bei der Verteidigung gegen Kapitalanlegermusterverfahren, Musterfeststellungsklagen und Verbandsklageverfahren ebenso wie bei der Abwehr von Inanspruchnahmen durch strukturierte Klagevehikel und in Massenverfahren.
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