Ausländische Familienstiftungen und -trusts: BFH stärkt Position inländischer Stifter und Begünstigter bei der deutschen Zurechnungsbesteuerung (§ 15 AStG)
Hintergrund
In Deutschland lebende Stifter und Begünstigte einer ausländischen Familienstiftung können unter bestimmten Voraussetzungen der sog. Zurechnungsbesteuerung nach dem Außensteuergesetz (AStG) unterliegen (§ 15 AStG). Vereinfacht gesagt werden danach die Einkünfte einer ausländischen Familienstiftung dem im Inland lebenden Stifter oder, falls es keinen inländischen Stifter (mehr) gibt, den inländischen Begünstigten als eigene Einkünfte zugerechnet und bei ihnen besteuert – und zwar unabhängig davon, ob die Stiftung ihre Einkünfte ausschüttet oder nicht. Entsprechendes gilt bei im Ausland errichteten Trusts.
Mit dieser Zurechnungsbesteuerung soll vermieden werden, dass Einkünfte über ausländische Familienstiftungen oder -trusts mit geringer oder sogar ganz ohne steuerliche Vorbelastung thesauriert werden können. Ein ähnliches Konzept sieht das Außensteuergesetz auch mit der Hinzurechnungsbesteuerung für ausländische niedrig besteuerte Körperschaften vor, allerdings mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen (§§ 7 ff. AStG).
Der Anwendungsbereich der Zurechnungsbesteuerung ist eröffnet, wenn es sich bei der Stiftung um eine Familienstiftung handelt. Das ist der Fall, wenn der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge insgesamt zu mehr als 50 % bezugs- oder anfallsberechtigt sind (§ 15 Abs. 2 AStG). Die Begriffe der Bezugs- und Anfallsberechtigung sind gesetzlich nicht definiert. Die Finanzverwaltung versteht diese Voraussetzungen weit: Eine Bezugsberechtigung soll vorliegen, wenn eine Person nach der Stiftungssatzung Vermögensvorteile erhält oder erhalten wird oder damit auch nur gerechnet werden kann. Eine Anfallsberechtigung soll vorliegen, wenn eine Person im Fall einer Auflösung oder Aufhebung der Stiftung rechtlich verlangen oder tatsächlich bewirken kann, dass das Stiftungsvermögen auf sie übertragen wird. Einen Rechtsanspruch auf die Bezugs- und Anfallsberechtigung hält die Finanzverwaltung jeweils nicht für erforderlich, wohl aber eine gesicherte Rechtsposition – so dass bloße Zufallsdestinatäre, bei denen ein Bezug oder ein Anfall spekulativ ist, nicht erfasst sind.
Escape-Klausel (§ 15 Abs. 6 AStG)
Eine Ausnahme von der Zurechnungsbesteuerung enthält das Gesetz mit der sog. Escape-Klausel (§ 15 Abs. 6 AStG). Danach werden einem inländischen Stifter oder bezugs- oder anfallsberechtigten Begünstigten die Stiftungseinkünfte unter drei Voraussetzungen ausnahmsweise nicht zugerechnet - nämlich wenn:
- die Familienstiftung (bzw. der Familientrust) Geschäftsleitung oder Sitz in der EU oder dem EWR hat,
- dem Stifter und den Begünstigten die Verfügungsmacht über das Vermögen der Stiftung (bzw. des Trusts) rechtlich und tatsächlich entzogen ist und
- ein hinreichender Informationsaustausch zwischen Deutschland und dem Sitz- bzw. Geschäftsleitungsstaat der Familienstiftung (bzw. des Familientrust) besteht.
Für deutsche Begünstigte einer in einem EU/EWR-Nachbarland belegenen Familienstiftung oder eines solchen Familientrusts ist diese Escape-Klausel in vielen Fällen von Bedeutung, insbesondere wenn die Bezugs- und Anfallsberechtigung nicht rechtssicher verneint werden kann. In diesen Fällen hilft die Escape-Klausel jedenfalls dann, wenn die (Vermögensanlage-)Tätigkeit für die Stiftung unabhängig von dem Stifter und den Begünstigten erfolgt und Stifter und Begünstigte auch keine (Rück-)Übertragungsansprüche geltend machen können. Von einem hinreichenden Informationsaustausch kann man in vielen Fällen auf Basis der EU-Amtshilferichtlinie, einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) mit sog. großer Auskunftsklausel (z.B. Art. 26 DBA-USA, Art. 27 DBA-UK oder Art. 26 DBA-Kanada) oder separaten Abkommen (z.B. TIEA-Liechtenstein) ausgehen.
Der Wortlaut der Escape Klausel erfasst allerdings ausdrücklich nur Familienstiftungen und -trusts, die entweder Sitz oder Ort der Geschäftsleitung in der EU bzw. im EWR haben. Liegen Sitz und Ort der Geschäftsleitung in einem Drittstaat, greift die Escape-Klausel ihrem Wortlaut nach nicht. In der Fachliteratur wird das schon bislang ganz überwiegend als unionsrechtswidrig bewertet.
Europarechtskonforme Auslegung durch den Bundesfinanzhof
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat nun entschieden, dass die Einschränkung der Escape-Klausel auf EU/EWR-Fälle unionsrechtswidrig ist. Die Escape-Klausel soll über ihren Wortlaut hinaus auch auf sämtliche ausländischen Familienstiftungen oder -trusts anzuwenden sein, bei denen die anderen zwei o.g. Voraussetzungen des § 15 Abs. 6 AStG erfüllt sind.
Der BFH-Entscheidung lag vereinfacht folgender Sachverhalt zugrunde:
- Eine Stifterin hatte eine Familienstiftung in der Schweiz errichtet. Begünstigt waren Angehörige der Stifterin, die ausschließlich in Deutschland steueransässig waren.
- Nach dem Stiftungsstatut konnten diese Destinatäre nur in bestimmten Bedarfssituationen Zuwendungen erhalten, worüber der Stiftungsrat nach eigenem Ermessen zu entscheiden hatte. Ein einklagbarer Anspruch der Destinatäre bestand nicht.
- Bei Auflösung der Stiftung sollte deren Vermögen grundsätzlich den Destinatären zufließen.
- Das Finanzamt bejahte sowohl eine Bezugs- als auch eine Anfallsberechtigung und versagte die Inanspruchnahme der Escape-Klausel. Die Stifterin war zwischenzeitlich verstorben.
Der BFH bejahte wie schon die Vorinstanz die Anfallsberechtigung der Destinatäre. Ob auch eine Bezugsberechtigung zu bejahen war (was die Vorinstanz ablehnte), lies er offen.
Der BFH verneinte aber im Ergebnis die Anwendung der Zurechnungsbesteuerung, indem er die Escape-Klausel über ihren Wortlaut hinaus anwendete und die gesetzliche Beschränkung auf EU-/EWR-Stiftungen „zur Abwendung eines Verstoßes gegen Unionsrecht“ ausgeblendete:
- Die Zurechnungsbesteuerung stellt eine Beschränkung der auch für Drittstaaten geltenden Kapitalverkehrsfreiheit dar (Art. 63 AEUV), weil sie aufgrund ihrer nachteiligen Folgen einen potentiellen Stifter davon abhalten kann, eine Stiftung in einem Drittstaat zu errichten.
- Diese Beschränkung ist auch nicht gerechtfertigt. Insbesondere kann sich der Gesetzgeber nicht auf zwingende Gründe des Allgemeinwohls berufen. Als rechtfertigender zwingender Grund ist zwar die Verhinderung von Steuerumgehungen durch künstliche Gestaltungen anerkannt. Der Steuerpflichtige muss aber auch in diesen Fällen immer das Recht und die Möglichkeit haben, den Gegenbeweis zu erbringen. Die Escape-Klausel greift hierfür zu kurz, da sie Familienstiftungen und -trusts mit Sitz und Ort der Geschäftsleitung im Drittland ausschließt.
- Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts gebietet es deshalb, im Wege der geltungserhaltenden Reduktion das europarechtswidrige Tatbestandsmerkmal (d.h. das Erfordernis von Geschäftsleitung oder Sitz in einem EU/EWR-Staat) auszublenden.
Hilfreich sind auch die ergänzenden Ausführungen des BFH zur Auslegung des o.g. zweiten Tatbestandsmerkmals der Escape-Klausel (Entzug der Verfügungsmacht über das Stiftungsvermögen): Hierfür kommt es nach dem BFH allein auf zivilrechtliche Maßstäbe an, d.h. dass Stifter bzw. Begünstigte bei Anwendung zivilrechtlicher Maßstäbe nicht die Herausgabe des Stiftungsvermögens bewirken können. Wirtschaftliche Maßstäbe und mittelbare Möglichkeiten der Einflussnahme, wie z.B. ein Recht zur Abberufung von Stiftungsorganmitgliedern sind unbeachtlich. Letzteres widerspricht der bislang veröffentlichten Auffassung der Finanzverwaltung im AStG-Erlass.
Bedeutung für die Praxis
Für die Praxis ist die Entscheidung von großer Bedeutung. Künftig können Stifter und Begünstigte von Familienstiftungen und -trusts, die grundsätzlich der Zurechnungsbesteuerung (§ 15 AStG) unterliegen würden, sich auf die Escape-Klausel berufen, unabhängig davon, nach welchem Recht die Stiftung oder der Trust errichtet wurde oder wo sich der Ort der Geschäftsleitung befindet.
Bedeutsam ist das u.a. in solchen Fällen, in denen inländische Begünstigte als bezugs- oder anfallsberechtigt einzuordnen sind. Zwar ließe sich eine Bezugsberechtigung im Einzelfall unter Umständen dadurch ausschließen, dass ein unabhängiger Stiftungsrat oder ein Trustee diskretionär über Zeitpunkt und Höhe der Ausschüttungen entscheidet. Allerdings möchten Stifter bzw. Settlor typischerweise den Empfänger des Stiftungs- bzw. Trustvermögens im Fall der Auflösung vorab selbst festlegen und dies nicht dem Ermessen eines Dritten überlassen (so dass in diesen Fällen regelmäßig von einer Anfallsberechtigung auszugehen ist). Derart „betroffene“ Begünstigte können nunmehr abhängig vom jeweiligen Einzelfall den Nachweis erbringen, dass ihnen das Stiftungsvermögen dauerhaft entzogen ist – mit der Folge, dass eine Zurechnungsbesteuerung bei ihnen trotz Bezugs- oder Anfallsberechtigung vermeidbar ist. Dafür sind nach dem BFH-Urteil wie oben dargelegt allein zivilrechtliche Maßstäbe entscheidend. Beachtet werden sollten aber auch in solchen Fällen etwaige weiterhin bestehende Anzeige- und Erklärungspflichten (§ 138 Abs. 2 AO; § 18 Abs. 3, 4 AStG).
Der Gesetzgeber ist nun aufgerufen, den Wortlaut von § 15 Abs. 6 AStG an die europarechtskonforme Auslegung des Bundesfinanzhofs anzupassen. Um auch bis zu einer Gesetzesänderung Rechtssicherheit zu haben, wäre eine entsprechende Klarstellung durch die Finanzverwaltung bzw. Veröffentlichung des Urteils im Bundessteuerblatt wünschenswert. Wie die Finanzverwaltung sich dazu positionieren wird, ist abzuwarten.
Bestens
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