Wegzug in die Schweiz: BMF veröffentlicht Schreiben zur Behandlung der Wegzugsteuer
Hintergrund
Für Personen mit Beteiligungen, beteiligungsähnlichen Genussscheinen oder Anwartschaften an in- oder ausländischen Kapitalgesellschaften (insb. AG, GmbH) ist der Umgang mit der sog. Wegzugsteuer fester Bestandteil der Steuerplanung im Vorfeld eines Wegzugs aus Deutschland. Hintergrund ist, dass im Fall eines Wegzugs eine Besteuerung des Beteiligungswerts im Teileinkünfteverfahren zum effektiven Steuersatz von etwa 28 % droht, während es bei der Fälligkeit der auf den Wegzug festgesetzten Einkommensteuer (noch) zu keinem Liquiditätszufluss aus der betroffenen Beteiligung gekommen ist. Vergleichbare Regelungen gelten für Anteile an Genossenschaften und seit dem 1. Januar 2025 auch für Beteiligungen an (Spezial-)Investmentfonds (weitere Informationen in diesem Zusammenhang finden Sie in unserem Newsletter vom 03.12.2024).
Bei Wegzügen aus Deutschland in einen EU/EWR-Mitgliedsstaat, die bis Ende 2021 umgesetzt worden sind, bestand grundsätzlich die Möglichkeit einer zinslosen und unbefristeten Stundung der Wegzugsteuer bis zur tatsächlichen Veräußerung der Beteiligung und damit bis zum Zeitpunkt des Liquiditätszuflusses (§ 6 Abs. 5 AStG a.F.). Anderes galt hingegen für Wegzüge in Drittstaaten (wie z.B. die Schweiz): In solchen Fällen war bestenfalls eine Stundung und ratierliche Zahlung der Wegzugsteuer über fünf Jahre möglich (§ 6 Abs. 4 AStG a.F.). Eine zinslose und unbefristete Stundung bis zur tatsächlichen Veräußerung war nicht vorgesehen, weshalb – analog zum Wegzug innerhalb des EU/EWR-Raums – Zweifel an der Vereinbarkeit der gesetzlichen Regelung mit dem Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten sowie der Schweiz über die Freizügigkeit vom 2. September 2001 (Freizügigkeitsabkommen) bestehen.
Mit dem ATAD-Umsetzungsgesetz hat der deutsche Gesetzgeber diese Stundungsregelung für Wegzüge ab dem 1. Januar 2022 zwar verschärft, so dass nunmehr unabhängig davon, ob der Wegzug in einen EU/EWR-Mitgliedsstaat oder in einen Drittstaat erfolgt, nur noch eine Stundung über sieben Jahre mit jeweils gleichmäßigen Jahresraten erreicht werden kann (dazu unser Newsletter v. 29.04.2021).
Für bis Ende 2021 – und unter Umständen auch unter geltender Rechtslage – erfolgte Wegzüge in Drittstaaten stellt sich allerdings die Frage, ob über den Wortlaut hinaus eine dauerhafte und zinslose Stundung bis zur tatsächlichen Veräußerung angezeigt (gewesen) wäre.
Rechtsprechung des EuGH und des BFH
Der EuGH hat am 26. Februar 2019 in der Rechtssache Wächtler (C-581/17) entschieden, dass die in Deutschland bei Wegzügen in die Schweiz vorgesehene sofortige Steuerzahlung in fünf gleichen Jahresraten im Ergebnis gegen die im Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz garantierte Niederlassungsfreiheit verstößt, sofern der „Wegzügler“ in den Anwendungsbereich dieses Freizügigkeitsabkommens fällt.
Die deutsche Finanzverwaltung hatte auf dieses Urteil zunächst durch Erlass eines minimalinvasiven BMF-Schreibens vom 13. November 2019 reagiert (BStBl. I 2019, 1212). Eine zinslose und unbefristete Stundung der Wegzugsteuer bis zur tatsächlichen Anteilsveräußerung war darin allerdings nicht vorgesehen. Den Finanzämtern wurde lediglich ermöglicht, die Stundung in fünf gleichen Jahresraten ohne vorherige Härtefallprüfung zu gewähren.
Unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung im Fall Wächtler entschied sodann der BFH am 6. September 2023 (Az. I R 35/20), dass die Wegzugsteuer zur Gewährleistung der unionsrechtlichen Vereinbarkeit (ggf. gegen Sicherheitsleistung) zinslos und dauerhaft zu stunden sei. Der BFH positionierte sich damit ausdrücklich gegen die im vorgenannten BMF-Schreiben vom 13. November 2019 vertretene Rechtsauffassung der Finanzverwaltung.
BMF-Schreiben vom 2. Juni 2025
Mit dem nunmehr veröffentlichten BMF-Schreiben vom 2. Juni 2025 (DStR 2025, 1282) erkennt die Finanzverwaltung jedenfalls für Wegzüge in die Schweiz vor dem 1. Januar 2022 (Altfälle) grundsätzlich eine zinslose und unbefristete Stundung der Wegzugsteuer bis zur tatsächlichen Anteilsveräußerung an.
Die Stundung wird danach gewährt, wenn (i) der Steuerpflichtige Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der EU oder der Schweiz ist, (ii) der Anwendungsbereich des Freizügigkeitsabkommens eröffnet ist, (iii) der Steuerpflichtige nach dem Wegzug in die Schweiz einer mit der Situation in Deutschland vergleichbaren Steuerpflicht unterliegt und (iv) im Anschluss an den Wegzug kein Grund für einen Widerruf der Stundung gesetzt wird. Ein Stundungswiderruf erfolgt etwa bei einer tatsächlichen Veräußerung der Beteiligung oder bei Gewinnausschüttungen, deren Wert insgesamt mehr als ein Viertel des Verkehrswerts der Beteiligung zum Zeitpunkt des Wegzugs beträgt.
Einordnung und Praxisfolgen
Das BMF-Schreiben vom 2. Juni 2025 betrifft in erster Linie Steuerpflichtige, die bis zum 31. Dezember 2021 in die Schweiz verzogen sind. Wurde die Wegzugsteuer bereits entrichtet, kommt unter Umständen ein nachträglicher Stundungsantrag und eine Rückerstattung der gezahlten Wegzugsteuer (einschließlich Zinsen) in Betracht. Ebenso können die Finanzämter in laufenden Einspruchs- oder Klageverfahren auf das BMF-Schreiben hingewiesen werden, falls eine unbefristete Stundung bislang nicht gewährt worden ist. Regelmäßig dürfte es für die Finanzbehörden aber möglich bleiben, eine zinslose und unbefristete Stundung der Wegzugsteuer von der Leistung einer Sicherheit abhängig zu machen. Dies kann im jeweiligen Einzelfall nach wie vor ein bedeutendes Hindernis darstellen, insbesondere weil Finanzämter die von der Wegzugsteuer betroffenen Beteiligungen oftmals nicht als Sicherheit akzeptieren (z.B. bei Wachstumsunternehmen).
Das BMF-Schreiben enthält jedoch weder Aussagen zu den Stundungsmöglichkeiten bei einem Wegzug in die Schweiz ab dem 1. Januar 2022 noch bei Wegzügen innerhalb des EU/EWR-Raums. Unseres Erachtens ist auf Grundlage der EuGH-Rechtsprechung im Fall Wächtler und der BFH-Entscheidung vom 6. September 2023 (Az. I R 35/20) eine zinslose und unbefristete Stundung grundsätzlich auch in diesen Wegzugskonstellationen geboten. Insgesamt empfiehlt es sich daher, bei Wegzügen nach dem 31. Dezember 2021 in die Schweiz oder in EU-/EWR-Staaten einen Antrag auf zinslose und unbefristete Stundung der Wegzugsteuer zu stellen. Wird dieser Antrag durch das Finanzamt abgelehnt, sollte erwogen werden, die Steuerfestsetzung unter Hinweis auf die verbreitet geäußerten unionsrechtlichen Zweifel offen zu halten.
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