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Erleichterung der mehrfachen Straf­verfolgung

30.06.2016

Straftaten, insbesondere Wirtschaftsstraftaten, weisen oftmals einen grenzüberschreitenden Bezug auf. Teile der Tathandlung wurden im oder aus dem Ausland heraus begangen, Täter oder Teilnehmer haben ausländische Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz, an der Tat beteiligte oder von ihr betroffenen Unternehmen haben ihren Sitz im Ausland. In all diesen Fällen ist es möglich, dass hinsichtlich der gleichen Straftat Ermittlungsverfahren von verschiedenen Strafverfolgungsbehörden in unterschiedlichen Staaten stattfinden. Daher besteht für den Tatbeteiligten die Gefahr, wegen derselben Straftat mehrfach in verschiedenen Ländern verurteilt zu werden.

Grundsätzlich ist eine derartige Mehrfachverfolgung auch in Deutschland möglich. Dass eine Verurteilung im Ausland erfolgt oder zu befürchten ist oder dass gar eine Geld- oder Haftstrafe vollstreckt wurde, ist lediglich im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen. Eine Anrechnung der ausländischen Strafe auf eine deutsche, findet hingegen nicht statt.

Eine Ausnahme besteht nur bei Strafverfolgungsentscheidungen innerhalb der Europäischen Union. In Art. 54 der Schengener Durchführungsverordnung ist das Verbot der Doppelbestrafung (ne bis in idem) geregelt. Danach darf eine Person strafrechtlich nicht mehr verfolgt werden, wenn sie in einem anderen Vertragsstaat wegen derselben Tat bereits rechtskräftig verurteilt wurde und die Sanktion bereits vollstreckt ist, gerade vollstreckt wird oder nicht mehr vollstreckt werden kann. Während Fälle einer gerichtlichen Verurteilung oder eines gerichtlichen Freispruchs kaum praktische Probleme aufwerfen, sieht dies bei sonstigen Verfahrenseinstellungen durch die Staatsanwaltschaft mit oder ohne Mitwirkung eines Gerichts anders aus. Hier bestimmt sich nach dem Recht des jeweiligen Verfolgungsstaates ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen eine Wiederaufnahme des Strafverfahrens möglich ist.

Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 29.06.2016 (Rs. C-486/14) entschieden, dass das Verbot der Doppelbestrafung dann nicht eingreift, wenn der andere Staat vor einer Einstellung keine eingehenden Ermittlungen durchgeführt hat. Da Art. 54 SDÜ Ausdruck des gegenseitigen Vertrauens in die Gleichwertigkeit der Justizsysteme sei, erfordere dies jedoch, dass tatsächlich eine Prüfung in der Sache durchgeführt worden sei. Daher gestattete der EuGH den deutschen Strafverfolgungsbehörden die Weiterführung eines Strafverfahrens gegen einen polnischen Staatsangehörigen, hinsichtlich dessen die polnischen Behörden die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls wegen der Einstellung des entsprechenden Ermittlungsverfahrens in Polen abgelehnt hatten.

Eine Einstellung eines Ermittlungsverfahrens in einem EU-Staat bietet nunmehr keinen absoluten Schutz vor weiterer Strafverfolgung in anderen Mitgliedsstaaten. Mit der Begründung, es seien keine hinreichenden Ermittlungen vorgenommen worden, lässt sich das Verbot des ne bis in idem umgehen. Dazu, welche Intensität Ermittlungen besitzen müssen, hat der EuGH keine Stellung genommen. Daher wird dies nicht das letzte Urteil zu diesem Problemkreis bleiben.