Positive Fortbestehensprognose trotz unverbindlicher Finanzierungszusage?
Bedeutung der positiven Fortbestehensprognose
Die positive Fortbestehensprognose spielt im Rahmen der Überschuldungsprüfung nach § 19 InsO eine große Rolle: Trotz rechnerischer Überschuldung liegt keine insolvenzrechtliche Überschuldung – und damit auch keine Insolvenzantragspflicht – vor, wenn die Fortführung des Unternehmens nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich ist. Dabei haben die Geschäftsleiter bei der Beurteilung dieser Prognose einen Beurteilungsspielraum. Sie müssen ihre Entscheidung allerdings auf ausreichender Tatsachengrundlage treffen. Das beinhaltet das Vorliegen eines aussagekräftigen Ertrags- und Finanzplans für den gesamten Prognosezeitraum – seit 01.01.2021 sind das 12 Monate (§ 19 Abs. 2 Satz 1 InsO).
Sanierungsbeiträge Dritter
In Krisensituationen hängt es nicht selten von Beiträgen oder Handlungen Dritter ab, ob eine Krise überwunden werden kann und eine Sanierung gelingt. Bisher war in diesem Zusammenhang fraglich, welche Anforderungen an das Eintreten der Handlungen oder Gewährung der Beiträge gestellt werden müssen. Einige Oberlandesgerichte erkannten die Berücksichtigung von Finanzierungsbeiträgen Dritter im Rahmen der Fortbestehensprognose nur dann an, wenn diese rechtsverbindlich zugesagt wurden. Rechtlich nicht bindende Absichtserklärungen konnten demnach nicht berücksichtigt werden. Zwar gab es erhebliche gegensätzliche Literaturstimmen, höchstrichterliche Rechtsprechung aber bislang nicht. Für Geschäftsleiter (und ihre Berater) ist das angesichts der hohen persönlichen Haftung in insolvenznahen Situationen eine unkomfortable Lage, zum Beispiel bei laufenden Verhandlungen über eine Rettungsfinanzierung. Zwei neue Urteile geben nun wertvolle Hinweise.
Wahrscheinlichkeit von über 50% ausreichend
Der Bundesgerichtshof hat mit einem neuen Urteil vom 13.07.2021 (II ZR 84/20) für mehr Klarheit gesorgt: Die Berücksichtigung von Finanzierungsbeiträgen Dritter im Rahmen der positiven Fortbestehensprognose hängt gerade nicht davon ab, ob die Drittzusagen rechtlich gesichert und einklagbar sind. Es kommt vielmehr darauf an, ob mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit den Beiträgen gerechnet werden kann und ob die Sanierung nach Eintreffen der Finanzierungsbeiträge dann auch gelingen kann. Denn – so zutreffend das Gericht – auch die für die Fortbestehensprognose notwendigen zukünftigen Umsätze sind in aller Regel nicht gerichtlich einklagbar.
Grenzen der Berücksichtigung bei Gesellschafterbeträgen im Rahmen einer weichen Patronatserklärung
Gleichzeitig zog der Bundesgerichtshof aber viel engere Grenzen bei Zusagen von Gesellschaftern. Nach dem oben Gesagten müsste auch eine sog. weiche Patronatserklärung, bei der der Gesellschaft kein rechtlicher Anspruch gegenüber dem Patron zusteht, im Rahmen der Fortbestehensprognose berücksichtigt werden können. Dies ist nach Ansicht des Bundesgerichtshofs aber nur in besonderen Ausnahmefällen möglich, z.B. wenn angesichts der Bonität des Gesellschafters, seiner besonderen Interessenlage oder seines bisherigen Verhaltens mit der Leistung sicher zu rechnen ist. Für das Vorliegen solcher Voraussetzungen trägt der Geschäftsleiter die alleinige Darlegungs- und Beweislast und wird sich immer mit der Frage konfrontiert sehen, warum der Gesellschafter dann nicht auch gleich zu einer harten Patronatserklärung bereit ist, bei welcher ein rechtlich einklagbarer Anspruch gerade besteht. Denn – so der Bundesgerichtshof – bei einer weichen Patronatserklärungen sind erhebliche Zweifel an einem weiteren Mittelzufluss angezeigt, da der patronierende Gesellschafter sich offensichtlich die Möglichkeit erhalten will, die Liquiditätsausstattung der Tochtergesellschaft jederzeit einstellen zu können.
Geschäftsleiter müssen daher bei unverbindlichen Finanzierungszusagen von Gesellschaftern besonders gut begründen können, warum diese im Zeitpunkt der Prognose (vermeintlich oder tatsächlich) bereit waren, zum Erhalt des Werts ihrer Anteile weitere Finanzierungen beizusteuern, wenn sie doch gleichzeitig (noch) keine rechtlich bindende Erklärung abgeben wollen. Die Antwort auf diese Frage muss gut vorbereitet sein, denn sie wird genau dann gestellt werden, wenn sich die Fortbestehensprognose als objektiv falsch herausgestellt hat und alle Sanierungsbemühungen den Insolvenzantrag nicht verhindern konnten.
Besonderheiten für Start-Ups – OLG Düsseldorf, Urteil vom 20.07.2021 – I-12 W 7/21
Aufgrund der Besonderheit, dass Start-Ups in der Anfangsphase regelmäßig nicht ertragsfähig sind, will das OLG Düsseldorf in diesen Fällen aber doch Erleichterungen gewähren: Danach kann die Geschäftsleitung solcher Neugründungen grundsätzlich von einer positiven Fortbestehensprognose ausgehen, solange ein operatives Konzept vorliegt und nicht konkret wahrscheinlich ist, dass der Finanzierer das Start-Up Unternehmen nicht weiterfinanzieren wird. Die Anforderungen an die Einbeziehung von nicht bindenden Zusagen von Gesellschaftern in die Fortbestehensprognose sind hier mithin niedriger. Weil das Urteil zeitlich nach der Grundsatzentscheidung des Bundgerichtshofs erging, ist davon auszugehen, dass die Düsseldorfer Richter die vorgehende Entscheidung kannten und bewusst davon abwichen. Ob dieser Sonderweg auch vor dem Bundesgerichtshof Bestand hat, bleibt abzuwarten.
Fazit
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat für Geschäftsleiter für die Frage der Fortbestehensprognose bei Drittbeiträgen mehr Rechtsklarheit gebracht, was zu begrüßen ist. Ein Geschäftsleiter muss prüfen, ob mit überwiegender Wahrscheinlichkeit mit den Beiträgen gerechnet werden kann und ob die Sanierung nach Eintreffen der Finanzierungsbeiträge dann auch gelingen kann. Gesellschafterzusagen sollten hingegen rechtlich bindend sein. Sind sie es nicht, muss gut begründet werden, warum sie gleichwohl in die Finanzplanung einbezogen werden und darauf die Fortbestehensprognose gestützt wird. Eine entsprechende Dokumentation ist dringend anzuraten.
Das OLG Düsseldorf will bei Start-Ups hingegen großzügiger sein: die Geschäftsführung soll bis zur Kenntnis des Gegenteils damit rechnen dürfen, dass Gesellschafter das Unternehmen weiterfinanzieren werden. Ob diese Auffassung auch vor dem Bundesgerichtshof hält, bleibt abzuwarten.