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U.S. Supreme Court: Keine Discovery für internationale private Schiedsverfahren

17.06.2022

Lange war die am vergangenen Montag, 14.06.2022, ergangene Entscheidung des U.S. Supreme Court zur Möglichkeit, in ausländischen Schiedsverfahren ebenfalls von U.S.-style Discovery nach 28 U.S.C. §1782 Gebrauch machen zu können, erwartet worden.

Nach 28 U.S.C. § 1782 können amerikanische Gerichte grundsätzlich in ihrem Gerichtsbezirk ansässige Personen und Unternehmen verpflichten, Aussagen zu machen oder Unterlagen vorzulegen, die dann in einem “proceeding in a foreign or international tribunal” verwendet werden können – und zwar unabhängig davon, wo der Antragsteller sitzt und ob die Zeugen mit dem eigentlich streitigen Verfahren überhaupt etwas zu tun haben.

Die Möglichkeit, Discovery nach 28 U.S.C. § 1782 in privaten Schiedsverfahren zu nutzen, hat der U.S. Supreme Court nun am vergangenen Montag mit seiner einstimmig gefassten Entscheidung stark beschränkt. Der U.S. Supreme Court entschied, dass privat gebildete Schiedsgerichte nicht unter den Begriff des “foreign or international tribunal” des 28 U.S.C. § 1782 fallen. Dementsprechend können Parteien solcher Schiedsverfahren keine Discovery mehr in den USA nach 28 U.S.C. §1782 beantragen.

Hintergrund der Entscheidung des U.S. Supreme Court

Die Entscheidung des U.S. Supreme Court erging zu Anträgen, die zum einen in einem nach den Regelungen der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS) noch zu führenden Handelsschiedsverfahren und zum anderen in einem bereits laufenden ad hoc Investitionsschutzschiedsverfahren nach UNCITRAL-Regeln gestellt worden waren. Nach Ansicht des U.S: Supreme Court war 28 U.S.C. §1782 in keinem der beiden Verfahren anwendbar.

In dem ersten Verfahren, Z.F. Automotive U.S. Inc. v. Luxshare Inc., war der Antrag nach 28 U.S.C. §1782 noch vor der Einleitung des eigentlichen Schiedsverfahrens nach der Schiedsgerichtsordnung der DIS gestellt worden. In der Sache selbst ging es um eine post M&A Streitigkeit. ZF Automotive US, Inc., eine in den USA ansässige Tochtergesellschaft des deutschen Konzerns ZF Friedrichshafen, hatte zwei Geschäftsbereiche an Luxshare, Ltd., ein in Hongkong ansässiges Unternehmen, verkauft. In der Folge hatte Luxshare behauptet, ZF Automotive U.S. Inc. habe Informationen über die verkauften Bereiche verschwiegen, um einen überhöhten Kaufpreis zu erreichen. Ziel der US-Discovery war es, Beweise für diese Vorwürfe zu finden.

In dem zweiten vor den U.S. Supreme Court gebrachten Verfahren, AlixPartners, LLP, et al. v. The Fund for Protection of Investor’s Rights in Foreign States, ging es um einen Streit zwischen der Republik Litauen und einem russischen Investor der insolventen litauischen Bank, AB Bank as SNORAS ("Snoras") auf der Basis des russisch-litauischen Investitionsschutzvertrags. Nach der Einleitung des Insolvenzverfahrens hatten die litauischen Behörden den CEO der in New York ansässigen Beratungsfirma AlixPartners LLP zum vorübergehenden Insolvenzverwalter von Snoras ernannt. Der russische Investor hatte ein Investitionsschiedsverfahren nach UNCITRAL wegen Enteignung eingeleitet und in der Folge einen Antrag nach 28 U.S.C. §1782 gestellt, um Informationen über die Rolle des CEO als vorläufigem Insolvenzverwalter zu erhalten.

Begründung des U.S. Supreme Court stützt sich auf Wortlaut und Gesetzeshistorie sowie Telos der Norm

In seiner Entscheidung erkannte der U.S. Supreme Court zunächst, dass der Begriff des “tribunal” nicht zwingend nur ordentliche Gerichte erfasse. Der Begriff sei durchaus weit genug, um andere rechtsprechende Stellen zu erfassen. Nach Ansicht des U.S. Supreme Court müsste diese Stelle allerdings von einem Staat übertragene Entscheidungsgewalt haben, also hoheitliche Befugnisse ausüben. Zur Begründung verwies das höchste Gericht der USA darauf, dass nach dem Wortsinn der Begriff „foreign tribunal“ eher so verstanden werden müsse, dass die rechtsprechende Stelle Teil eines ausländischen Staates sei, als dahingehend, dass diese sich einfach in einem ausländischen Staat befinde. Dies werde nach Ansicht des U.S. Supreme Court auch damit belegt, dass eine Stattgabe eines Antrags nach 28 U.S.C. §1782 die Entscheidung über den Ablauf der Discovery die Rechtspraxis und die Verfahrensregeln des ausländischen Staates in Bezug nehmen dürfe. Nach Ansicht des U.S. Supreme Court impliziere dieser Wortlaut, dass das "foreign country" – und nicht das private Schiedsgericht – die Regeln festlegen müsse bzw. dass ein "international tribunal" die Beteiligung von zwei oder mehr Nationen erfordere.

Zur weiteren Begründung zog der U.S. Supreme Court sowohl die Historie der Vorschrift als auch ihren Gesetzeszweck heran. Nach Ansicht des U.S. Supreme Court wurde die Vorschrift ursprünglich eingeführt, um die Hochachtung für andere Staaten und den von ihnen geschaffenen staatlichen und zwischenstaatlichen Organen zu fördern sowie gegenseitiger Amtshilfe Vorschub zu leisten. In Verfahren, die allein zwischen zwei Privatpersonen vor einem privat gebildeten Schiedsgericht in irgendeiner Form geführt werden, kann dieser Zweck kaum erreicht werden. Darüber hinaus wies der U.S. Supreme Court darauf hin, dass eine enge Auslegung des 28 U.S.C. §1782 mit den Vorschriften des Federal Arbitration Act konform ginge, nach welchen Discovery in nationalen Schiedsverfahren vor einer nicht staatlichen Stelle nur unter viel engeren Voraussetzungen möglich ist.

Vor diesem Hintergrund sah der U.S. Supreme Court im Verfahren Z.F. Automotive U.S. Inc. v. Luxshare Inc., das nach den Regeln der DIS-Schiedsordnung gebildete Schiedsgericht nicht als „tribunal“ im Sinne des 28 U.S.C. §1782 an, da dieses keine von einem Staat übertragene Entscheidungsgewalt hat. In Bezug auf das zweite Verfahren, AlixPartners LLP et al. v. The Fund for Protection of Investor’s Rights in Foreign States, lehnte der U.S. Supreme Court trotz Beteiligung eines Staates am Schiedsverfahren letztlich ebenfalls eine Qualifizierung des Schiedsgerichts als tribunal“ im Sinne des 28 U.S.C. §1782 ab, da die beiden beteiligten Staaten in der Durchführung des Schiedsverfahrens völlig frei waren und mit der Form des ad hoc Schiedsverfahrens gerade eine Form gewählt worden war, wo das Schiedsgericht keine übertragene Entscheidungsgewalt hat.

Mit seiner engen Auslegung des 28 U.S.C. §1782 schloss sich der U.S. Supreme Court der Meinung der Second, Fifth, and Seventh Circuit Courts of Appeal an, die bereits zuvor in ihrer Rechtsprechung Anträge für private Schiedsverfahren abgelehnt hatten, und lehnte das vom Fourth und Sixth Circuit Court of Appeals vertretene, weite Verständnis des Begriffs ab. Gleichzeitig distanzierte sich der U.S. Supreme Court von dem in seiner eigenen sog. Intel-Entscheidung (Intel Corp. v. Advanced Micro Devices, Inc., 542 U.S. 241) aus dem Jahr 2004 geäußerten Dictum, demzufolge 28 U.S.C. §1782 verwendet werden könnte, um Beweise zur Unterstützung ausländischer Handelsschiedsverfahren zu erhalten.

Bedeutung und Auswirkung der Entscheidung des U.S. Supreme Court

Die Entscheidung des U.S. Supreme Court nimmt Parteien in internationalen Schiedsverfahren ein beliebtes Mittel der Discovery. In den letzten zehn Jahren hatten Prozessparteien in internationalen Schiedsverfahren vermehrt Anträge nach 28 U.S.C. § 1782 gestellt, um in den Genuss von U.S.-style Discovery zu kommen und damit Beweismittel zu erhalten, die ihnen sonst in ihrem Schiedsverfahren im Ausland nicht zur Verfügung gestanden hätten.

Bei der Bescheidung entsprechender Anträge waren dabei die Rechtmittelgerichte für solche Anträge, die U.S. Circuit Courts of Appeal, unterschiedlicher Auffassung darüber gewesen, ob diese auch für internationale Schiedsverfahren, vor allem solche vor privaten Schiedsgerichten, gestellt werden dürfen. Die U.S. Circuit Courts of Appeal hatten diese Frage unterschiedlich beantwortet und sich dabei in zwei Lager, den sog. Circuit Split, geteilt. Je nachdem, wo in den USA ein Antrag nach 28 U.S.C. § 1782 gestellt worden war, war dieser damit unterschiedlich beschieden worden. Dies hatte nicht gerade zur Rechtssicherheit beigetragen.

Mit seiner Entscheidung hat der U.S. Supreme Court nun die Rechtssicherheit wieder hergestellt und den Circuit Split bereinigt. Die Rolle der U.S. Gerichte in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit hat sich damit erheblich verändert. Mit der Entscheidung weist der U.S. Supreme Court die Frage der Discovery allein den privaten Schiedsgerichten zu und nimmt die U.S. Gerichte aus der Pflicht, hier Unterstützung zu leisten.

Anträge von Parteien internationaler Schiedsverfahren werden nun nicht mehr unterschiedlich behandelt, je nachdem an welchem Ort in den USA der jeweilige Bezugspunkt für die Discovery nach 28 U.S.C. § 1782 belegen ist. Durch die Entscheidung wird die Gleichbehandlung der Parteien im Schiedsverfahren weiter gefördert, da sich die Parteien in internationalen Schiedsverfahren nun nicht mehr auf unterschiedlichen Discovery-Standards berufen werden können. Benachteiligt fühlen wird sich allenfalls die Partei, die auf Beweismittel Dritter angewiesen ist, da Schiedsgerichte Discovery lediglich zwischen den Parteien und nicht zu Lasten Dritter anordnen können. Nicht zuletzt aus ökonomischer Sicht ist allerdings wichtig, dass das Risiko international tätiger Unternehmen mit Bezugspunkten in den USA, einer Discovery nach U.S. Recht ausgesetzt zu werden, durch die Entscheidung vom vergangenen Montag erheblich gemindert, wenn nicht sogar beseitigt wurde.

In Zukunft wird der Umfang von Discovery in einem privaten internationalen Schiedsverfahren stärker als zuvor von der vertraglichen Vereinbarung der Parteien, der Möglichkeit von Schiedsgerichten, von einem Staat übertragene Entscheidungsgewalt auszuüben sowie der Möglichkeit von örtlichen Gerichten, den Parteien zusätzliche Rechtsbehelfe zu gewähren, bestimmt werden. Parteien sind damit in Zukunft gut beraten, den Inhalt der Schiedsvereinbarung insbesondere auch mit Blick auf die Möglichkeiten der Discovery und die durch den jeweiligen Staat übertragenen hoheitlichen Befugnisse des Schiedsgerichts zu prüfen.

Da die Entscheidung nur in Bezug auf Schiedsverfahren erging, bleibt die Möglichkeit zur Stellung eines Antrags nach 28 U.S.C. §1782 in staatlichen Gerichtsverfahren selbstverständlich unberührt.